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Es ist ein wachsendes Problem: Rund 25 Prozent der deutschen Bevölkerung sind von Adipositas betroffen, und die Zahl der Erkrankten steigt.

Adipositas in Deutschland: Eine wachsende gesundheitliche Herausforderung

Für Experten zählt Adipositas in Deutschland zu einer der größten gesundheitlichen Herausforderungen, die mit dem 2024 beschlossenem Disease-Management-Programm (DMP) Adipositas nun endlich auch von der Politik angegangen wird. 

Wie das Gehirn bei Adipositas Hunger- und Sättigungssignale falsch interpretiert

Eine entscheidende Komponente bei Adipositas ist die Kommunikation zwischen dem Gehirn und dem Rest des Körpers. Diese Interaktionen waren auch Leitthema des 68. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE). „Bei Adipositas kommt es, ausgelöst meist durch Überernährung, zu einer Gewichtszunahme und zu Stoffwechselveränderungen wie einer Insulinresistenz. In der Folge kann das Gehirn Signale, die der Körper aussendet, oft nicht mehr richtig interpretieren: Betroffene essen dann beispielsweise zu viel, obwohl der Körper bereits genug Energie hat, da das Gehirn weiterhin ein Hungersignal sendet“, erklärt Dr. Ruth Hanßen, Endokrinologin an der Uniklinik Köln.

Das Belohnungssystem: Warum hochkalorisches Essen zu Antriebslosigkeit führt

„Bei Menschen mit Adipositas ist das Belohnungssystem des Gehirns, vor allem die dopaminergen mesolimbischen Bahnen, verändert. Das äußert sich darin, dass Betroffene ihre Bereitschaft, sich für eine Belohnung anzustrengen, weniger gut an ihre aktuellen Bedürfnisse anpassen können. Dies hängt auch mit der Art der Lebensmittel zusammen, die konsumiert werden: Wenn Menschen überwiegend hochkalorische, fett- und zuckerreiche Lebensmittel zu sich nehmen, kann dies zu Antriebslosigkeit und Leistungsabfall führen“, so Hanßen.

Adipositas beeinträchtigt kognitive Funktionen und Entscheidungsfähigkeit

Auch kognitive und emotionale Prozesse wie die Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen, können durch diese gestörte Kommunikation zwischen Körper und Gehirn beeinträchtigt werden. Betroffenen fällt es schwer, neue Assoziationen zu lernen, die nichts mit Essen zu tun haben.

Offene Fragen zur medikamentösen Adipositas-Therapie

Hanßen wies auch auf offene Fragen hinsichtlich zentral wirkender Adipositas-Medikamente hin: Wann und wie lange soll ein präventiver Einsatz erfolgen? Wie sieht die erfolgreiche Langzeittherapie von Adipositas aus? Und welche politischen Rahmenbedingungen müssen dafür geschaffen werden?

Leptin und Hypothalamus: Hoffnung auf neue medikamentöse Ansätze

Ein wichtiges Signal, das für die Kommunikation peripherer Organe mit dem Gehirn verantwortlich ist, ist das Hormon Leptin. Es wird vom Fettgewebe in Abhängigkeit von der Fettspeicherung freigesetzt und unterdrückt über das Gehirn die Nahrungsaufnahme. Kongresspräsident Prof. Jens Brüning hofft, dass die laufende Forschung zu den Regulationsmechanismen von Leptin im Hypothalamus mittelfristig dafür geeignet ist, neue medikamentöse Ansätze für die Therapie der Adipositas zu entwickeln.

Psychische Folgen: Zusammenhang zwischen Adipositas und Depression

Große Studien zeigen zudem, dass Personen mit Adipositas ein deutlich erhöhtes Risiko haben, eine Depression zu entwickeln, während Personen mit Depression ein deutlich höheres Risiko aufweisen, eine Adipositas zu entwickeln. 

Interdisziplinäre Forschung als Schlüssel zur erfolgreichen Adipositas-Behandlung

PD Dr. Sharmili Edwin Thanarajah erklärte, dass mit der Adipositas verbundene Prozesse wie chronisch erhöhte Entzündungswerte und oxidativer Stress sich über das Gehirn auch negativ auf Stimmung und kognitive Funktionen auswirken. Fachgebiete wie Endokrinologie, Ernährungswissenschaft und Psychiatrie sollten ihrer Meinung nach eng zusammenarbeiten, um das komplexe Zusammenspiel dieser Erkrankungen zu erforschen und Betroffenen evidenzbasierte Strategien zu bieten.

Quelle:

Online-Pressekonferenz am 11. März 2025 (DGE)

Thanarajah SE et al. Cell Metab 2023;35(4):571-584.e6