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Die einen behaupten, es ginge um Datensicherheit. Die anderen entgegnen, es drehe sich vorrangig ums Geld. Im monatelangen Streit zwischen Ärzteschaft, Politik und Industrie um den Konnektoren-Austausch in deutschen Praxen und Kliniken steht inzwischen vor allem die Glaubwürdigkeit infrage. Denn rund 53.000 von insgesamt 130.000 Geräten, die die Akteure des Gesundheitswesens mit der Telematikinfrastruktur (TI) verbinden, müssen trotz aller Kritik und Alternativen voraussichtlich ersetzt werden.

Doch technisch wäre das derzeit noch nicht zwingend erforderlich, räumte jüngst das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) ein. Laut der Zertifizierungsstelle ist eine bis zu drei Jahre längere Nutzungsdauer tragbar und mittels Update-Lösung machbar – wenn auch auf geringerem Sicherheitsniveau. Schon 2025 sollen die Konnektoren mit Einführung der TI 2.0 sowieso überflüssig werden.

Hintergründe des Konnektoren-Austauschs
Die Konnektoren tragen Chips in sich, auf denen sogenannte Zertifikate für den verschlüsselten Transfer der Patientendaten gespeichert sind. Deren Laufzeit ist aus Sicherheitsgründen auf fünf Jahre begrenzt. Laut der gematik ist deshalb ein Austausch des ganzen Praxis-Routers notwendig.

Da die Geräte zu unterschiedlichen Zeitpunkten hergestellt wurden und somit nach und nach das Ende ihrer Nutzungsdauer erreichen, müssen sie in den Praxen zu unterschiedlichen Zeitpunkten bis August 2023 ausgetauscht werden. Die Verbindung zur Telematikinfrastruktur ist ansonsten nicht mehr möglich.

Das frustriert viele betroffene Niedergelassene. Aufgrund des Theaters um die aufwendige Tauschaktion hatten die Kassenärztliche Bundesvereinigung und ihre Landesorganisationen in diesem Oktober das Gesundheitsministerium aufgefordert, einzugreifen. Der Eindruck wachse, dass die Vertragsärztinnen und -ärzte zum Spielball von Wirtschaftsinteressen geworden seien, so die Vertreter. Das Agieren der auf medizinische Anwendungen spezialisierten Software- und Hardware-Hersteller sei nicht mehr tragbar, hieß es weiter. Es belaste die Praxen und die Krankenkassen mit weit über 300 Millionen Euro, wobei niemand sicher sagen könne, ob sie nötig seien. Die Erstattungspauschale je Konnektor beträgt beispielsweise 2.300 Euro – das ist so viel, wie die CompuGroup Medical (CGM) verlangt, und deckt doch oft nicht alle Aufwendungen für die Anbindung. Von IT-Experten geschätzte Herstellungskosten hingegen: nur maximal 400 Euro.

Das Marktmodell hat bei den Konnektoren versagt

Genützt haben die mahnenden Worte bisher nichts. Dabei hatte der Chaos Computer Club (CCC) kurz zuvor gezeigt, wie sich auf der Hardware zugelassener Hersteller eine neue Software für eine sichere Datenverschlüsselung installieren ließe – auch bei den Konnektoren, denen eine veraltete Technik bescheinigt wurde.

Dadurch wäre ein Austausch vermeidbar und es ließen sich Hunderte Millionen Euro sparen, sagt der CCC. Der Vorwurf der Hacker in diesem Zusammenhang wiegt schwer: Mindestens ein IT-Anbieter habe bewusst darauf verzichtet, eine Laufzeitverlängerung zu implementieren, um Kasse machen zu können. Die halbstaatliche gematik – zuständig für Betrieb und Weiterentwicklung der TI – hatte Updates zwar als Option vorgeschlagen, aber wegen Risikobedenken nicht vorgeschrieben.

„Das Marktmodell hat versagt“, lautet deshalb das Resümee der kassenärztlichen Vereinigungen. Diese forderten unlängst in einer gemeinsamen Erklärung, dass die Gestaltung der TI-Zukunft in staatlicher Verantwortung sein müsse und diese grundlegende Aufgabe nicht wenigen Unternehmen überlassen werden dürfe. Zugleich teilten die Ärztevereinigungen mit, dass es leider zu spät sei, um die laufenden Prozesse zu stoppen. Der Austausch der Konnektoren müsse daher weiter stattfinden – insbesondere, was die KoCoBox von CGM betreffe, sofern interne Sicherheitszertifikate bis August 2023 abliefen. Dafür gibt es mangels gematik-Anforderungen schlichtweg keine Updates.

Berufsverbände kritisieren Geldvernichtung auf Kosten der Patientenversorgung

Auch andere Standesvertretungen äußerten ihren Unmut: Nachdem unabhängige Computerexperten bewiesen hätten, dass ein Aktualisieren der Schlüsselzertifikate möglich wäre, sei das Festhalten an den Plänen eine sinnlose Geldvernichtung, ließ Silke Lüder, Vizevorsitzende der Freien Ärzteschaft und niedergelassene Allgemeinärztin in Hamburg, etwa Gesundheitsminister Karl Lauterbach wissen. Die 300 bis 400 Millionen Euro, die das Austauschen der Geräte laut Schätzungen die Krankenkassen kosten wird, sollten aus ihrer Sicht für eine bessere Patientenversorgung ausgegeben werden, statt „für zusätzlichen Elektroschrott“. Thomas Fischbach, Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte, forderte sogar Konsequenzen für die Zusammenarbeit mit den Unternehmen.

Die gematik bleibt dennoch dabei: Der Gerätetausch sei derzeit am sichersten, um die Kontinuität des Praxisbetriebes beim Übergang zu der TI 2.0 zu gewährleisten und aufwendige Zwischenlösungen zu vermeiden. Die ebenfalls mögliche und bekannte Aktualisierung der darin gespeicherten Zertifikate sei Ende August erneut im Rahmen ihrer Gesellschafterversammlung diskutiert worden. Ergebnis: „Bei allen bis August 2023 ablaufenden Konnektoren ist der Austausch weiterhin die einzig sinnvolle Alternative“, erklärte die gematik. Dies betreffe vor allem die Geräte von CGM. Die Entscheidung gegen die Update-Option sei vom Bundesgesundheitsministerium mitgetragen worden, das 51 Prozent der Gesellschaftsanteile der gematik hält und so bei Beschlüssen zur Digitalisierung des Gesundheitswesens den Ton angibt.

Alternativen zum Konnektorentausch erst ab September 2023 geplant

Nur für Geräte, die ab September 2023 „veralten“, soll es künftig kostengünstigere Wahlmöglichkeiten für den TI-Anschluss geben: Zum Beispiel die Laufzeitverlängerung der Zertifikate in der Gerätekarte oder die Konnektoren-Anbindung über eine Rechenzentrumslösung. Dies betrifft vor allem Praxen, die Konnektoren von Secunet und RISE nutzen. Diese beiden Hersteller hatten erst ab Herbst 2018 mit der Herstellung, Auslieferung und Installation begonnen. Die Laufzeit ihrer Produkte endet später als bei CGM-Geräten.

Die gematik-Gesellschafter empfehlen zudem, das Finanzierungsmodell für die TI-Anbindung anzupassen, um die verschiedenen Varianten zu ermöglichen. Im Gespräch ist eine Flatrate, die Praxen unabhängig von der technischen Zugangslösung regelmäßig zahlen sollen.

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung rät Praxen, deren Konnektor-Zertifikat demnächst ausläuft, das Gerät durch ein neues – gegebenenfalls auch von einem anderen Hersteller – ersetzen zu lassen und sich rechtzeitig mit ihrem Dienstleister vor Ort in Verbindung zu setzen. Kosten für notwendige Technik und Betriebskosten der TI erhalten die Niedergelassenen von ihrer Landesvereinigung erstattet.

Reformpläne zur Finanzierung der TI-Anbindung sorgen für Aufregung

Hier droht nun neuer Streit: Denn die Finanzierungsvereinbarung für die IT-Pauschalen soll geändert werden. Die Erstattung der Komponenten für die Nutzung der Telematikinfrastruktur erfolgt aktuell einmalig oder quartalsweise. Künftig soll es monatliche Zahlung an die Praxen als Ausgleich der TI-Ausstattungs- und Betriebskosten geben. Das sieht ein Änderungsantrag der Ampelkoalition zum Krankenhauspflegeentlastungsgesetz vor, das vor dem Abschluss steht. Dabei soll sich die Höhe der Erstattungspauschalen nach dem jetzigen Ausstattungs- und Preisniveau richten und für sechs Jahre gelten. Die Beträge sollen für die Hersteller nicht bindend sein.

Für die die Kassenärztliche Bundesvereinigung ist der Vorschlag untragbar. „An der Höhe der bisherigen Pauschalen soll sich trotz Inflation und technischem Fortschritt nichts ändern; das Verfahren zur Festlegung ist zudem schwerfällig und kompliziert“, kritisiert sie. Niedergelassene sollen zudem in Vorleistung gehen und bis zu 72 Monate auf die Erstattung warten müssen. „Für die Ärztinnen und Ärzte müssen die TI-Kosten ein Durchlaufposten sein und dürfen nicht zu Mehrkosten führen“, betonte der Verband. Am Freitag will der Bundestag die Pläne für die künftige Finanzierung der TI-Anbindung beschließen, danach muss der Bundesrat das Gesetz verabschieden.

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung hat indes einen eigenen Vorschlag: Er sieht vor, dass künftig der GKV-Spitzenverband und die TI-Anbieter die Höhe der Preise und der erstattungsfähigen Kosten für die TI-Komponenten vereinbaren – vergleichbar mit der Festlegung von Preisen für neu auf den Markt kommende Arzneimittel. „Auf diesem Weg wird sichergestellt, dass den niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen nicht ins Blaue hinein sämtliche IT-Kosten über eine über sechs Jahre gestreckte Monatspauschale abgegolten werden, deren genaue Höhe derzeit niemand kennt und die auch bei veränderten Rahmenbedingungen nicht angehoben werden soll.“