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Orthopädie

Als ein 49 Jahre alter Arzt nach einem schweren Reitunfall selbst als Patient in die Klinik kommt, lautet der Befund seiner Kollegen nach Röntgen und Kernspintomographie der Halswirbelsäule: „Nicht dislozierte Densbasisfraktur (Anderson Typ 2) sowie gering dislozierte Fraktur des unteren Gelenkfortsatzes C7 rechts“. Keine einfache Diagnose.

Zunächst plant man in der Klinik eine operative Versorgung des Traumas. Nach nochmaliger Sichtung der Bilder eröffnete der Oberarzt dem Patienten dann aber, dass er sich, nach Rücksprache mit dem Chefarzt, für eine konservative Therapie entschieden habe. Auf Nachfrage teilte er dem Kollegen zudem mit, dass es sich bei der Verletzung am Wirbel C2 lediglich um eine „Fissur“ handele, die mittels einer Henßge-Krawatte einer konservativen Behandlung gut zugänglich sei.

Henßge-Krawatte bei Densfraktur

 

Zwei Monate später zeigte sich allerdings, dass diese Entscheidung nicht die richtige war und die knöcherne Heilung der vermeintlichen Fissur nicht wie erhofft erfolgte. Der Patient musste sich daraufhin mehreren Operationen unterziehen. Am Ende wurde die Wirbelsäule im Bereich C1/C2 versteift.

Der Patient leidet deshalb bis heute unter chronischen Schmerzen im Halsbereich und starken Bewegungseinschränkungen. Er kann seinen Kopf nur eingeschränkt drehen und musste sportliche Aktivitäten wie Reiten und Skifahren aufgeben. Seine Beschwerden erfordern zudem eine dauerhafte Schmerztherapie mit Medikamenten.

Klage gegen Krankenhaus auf Schmerzensgeld erfolgreich

Der Patient verklagte daher das erstbehandelnde Krankenhaus auf Schmerzensgeld und Schadensersatz – und bekam Recht. Das Oberlandesgericht Karlsruhe verurteilte die Klinik und den behandelnden Chefarzt nicht nur zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 25.000 Euro, sondern auch zum Ersatz aller künftigen materiellen und immateriellen Schäden des Patienten (29.11.2023, Az. 7 U 115/22).

Auf Basis der Aussagen des Sachverständigen sah es das Gericht als erwiesen an, dass die Verwendung einer weichen Halskrawatte zur Behandlung einer Densfraktur als grob fehlerhaft einzustufen sei. Grob ist ein Behandlungsfehler nach ständiger Rechtsprechung immer dann, wenn das ärztliche Fehlverhalten aus objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil ein solcher Fehler dem behandelnden Arzt aus dieser Sicht „schlechterdings“ nicht unterlaufen darf.

Diese Voraussetzungen sah das Gericht im vorliegenden Fall erfüllt. Anders als bei einer bloßen Fissur (die hier, anders als im Gespräch mit dem Patienten beschrieben, gerade nicht vorgelegen habe) gebe es bei einer Fraktur eine durchgehende Frakturlinie. Diese war vorliegend auch auf dem Röntgenbild erkennbar gewesen. Nach den elementaren Regeln der Frakturbehandlung sei der Bereich in solchen Fällen ausreichend ruhig zu stellen. Die weiche Krawatte sei hingegen völlig ungeeignet gewesen. Vielmehr hätte nach medizinischem Standard mindestens eine harte Zervikalstütze verwendet werden müssen.

Wie die Rechtsprechung bei Behandlungsfehlern die Haftungssummen berechnet

Wenn Gerichte nach einem Behandlungsfehler das Schmerzensgeld festsetzen, berücksichtigen sie dabei unter anderem das Ausmaß und die Dauer der Schmerzen, Leiden und Entstellungen. Auch die Zahl und Schwere etwaiger Operationen, die Dauer der stationären und ambulanten Heilbehandlungen, der Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit und die Höhe des Dauerschadens fließen in die Berechnung mit ein. Zudem hat Schmerzensgeld auch eine Genugtuungsfunktion. Sie ist entscheidend, um das Verschulden des Arztes zu berücksichtigen.

Densfraktur – das Wichtigste für die Praxis

Definition: Als Densfraktur wird die Fraktur des Processus odontoideus (Dens axis) am zweiten Halswirbel (Axis, C2) bezeichnet. Sie zählt zu den häufigsten Frakturen im Bereich der oberen Halswirbelsäule – insbesondere bei älteren Patientinnen und Patienten nach Bagatelltraumen.

Klassifikation (nach Anderson und D’Alonzo, 1974):

  • Typ I: Fraktur an der Spitze des Dens (selten, meist stabil)

  • Typ II: Fraktur an der Basis des Dens (häufigste Form, instabil, hohe Pseudarthroserate)

  • Typ III: Fraktur durch den Dens in den Corpus axis (oft gute Heilungstendenz)

Klinische Symptome: Nackenschmerzen, Bewegungseinschränkung der HWS. In instabilen Fällen: neurologische Defizite durch Rückenmarksbeteiligung. Im Alter häufig oligosymptomatisch – deshalb hohe Dunkelziffer.

Diagnostik:

  • CT der HWS: Goldstandard zur Frakturanalyse

  • MRT: Indiziert bei neurologischen Symptomen oder zur Beurteilung der ligamentären Strukturen

  • Konventionelles Röntgen: in 2 Ebenen zur initialen Einschätzung, allerdings oft unzureichend

Therapieoptionen:

  • Konservativ: z. B. mit Halo-Fixateur oder Cervicalstütze bei stabilen Frakturen (Typ I, ausgewählte Typ III)

  • Operativ: Ventrale Zugschraubenosteosynthese bei geeigneten Typ-II-Frakturen oder Dorsale C1/C2-Spondylodese bei Instabilität, Dislokation oder Kontraindikationen für die ventrale Technik

Komplikationen:

  • Pseudarthrose (v. a. Typ II)

  • Rückenmarkskompression mit neurologischen Ausfällen

  • Postoperative Instabilität, insbesondere bei inadäquater Versorgung

  • Erhöhte Mortalität bei älteren Patient:innen mit Begleiterkrankungen

Quelle:

Anderson LD, D’Alonzo RT. Fractures of the odontoid process of the axis. J Bone Joint Surg Am. 1974;56(8):1663–74., AWMF-Leitlinie S2k: Verletzungen der Halswirbelsäule (Registernummer: 012-059)., Vaccaro AR et al. Management of odontoid fractures in the elderly. Spine J. 2016;16(2):161–72. Joaquim AF, Patel AA. Surgical treatment of type II odontoid fractures: anterior odontoid screw fixation or posterior fusion? Neurosurg Focus. 2015;38(4):E11. AO Spine Knowledge Forum Trauma. Fractures of the Upper Cervical Spine. AO Foundation 2020.

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