Wirtschaftsnachrichten für Ärzte | ARZT & WIRTSCHAFT
Praxis

Mit Husten oder triefender Nase ins Wartezimmer? Zu Pandemie-Zeiten sind Patienten darauf sensibilisiert, Infektionsrisiken für sich und andere möglichst gering zu halten. Das spiegelt sich in der Nachfrage von Videosprechstunden. In einer Umfrage des Digitalverbands Bitkom gaben 85 Prozent der Nutzer digitaler Sprechstunden an, diese vor allem zur Vermeidung einer COVID-19-Infektion zu schätzen. Neben der Abklärung akuter Atemwegsinfektionen wird sie auch gerne zum Management chronischer Erkrankungen wie Diabetes oder Bluthochdruck genutzt. Patienten verwenden ohnehin zunehmend das Internet, um Symptome zu recherchieren. Manche tauschen sich auch in Online-Foren aus. Durch ihren Arzt sind sie deutlich besser beraten. Patienten mit Mobilitätseinschränkungen oder knappen zeitlichen Ressourcen kommt zudem die ersparte Anfahrt entgegen.

Grundsätzlich für alle Indikationen

Bis April 2019 war die Videosprechstunde auf bestimmte Indikationen begrenzt. Seit Oktober 2019 dürfen Ärzte fast aller Fachgruppen Videosprechstunden durchführen und abrechnen – ausgenommen Laborärzte, Nuklearmediziner, Pathologen und Radiologen. Auch darf mittlerweile der erste Arzt-Patienten-Kontakt per Videosprechstunde stattfinden. Die Regelung, derzufolge höchstens 20 Prozent der jeweiligen Leistung (GOP) im Quartal per Videosprechstunde erfolgen dürfen, ist pandemiebedingt seit April 2020 ausgesetzt. Eine Übersicht zu den Pauschalen und Zuschlägen finden Sie auf den Seiten der KBV zum Thema Videosprechstunde. Kommt der Patient allerdings im entsprechenden Quartal gar nicht in die Praxis, nimmt die Kassenärztliche Vereinigung (KV) einen fachgruppenspezifischen, prozentualen Abschlag auf die jeweilige Pauschale beziehungsweise den Zuschlag vor: bei Haus- und Kinderärzten 20 Prozent, bei Innerer Medizin, Orthopädie und anderen 25 Prozent. Hals-Nasen-Ohrenärzte und Augenheilkundler müssen auf 30 Prozent verzichten.

Grafik Nutzung der Videosprechstunde durch Ärzte

Versorgungswüsten begrünen

Der Gesetzgeber verspricht sich viel von telemedizinischen Anwendungen: Zugang für alle, mehr Effizienz und Kosteneffektivität. Doch wie sieht es mit der Umsetzung aus? Zur Beantwortung dieser Frage lohnt sich ein Blick hin zu den Ländern, die bereits mehr Erfahrungen damit gesammelt haben. In China artete die Beunruhigung der Menschen zu Beginn der COVID-19-Pandemie in eine Überflutung der Krankenhäuser aus, wie Forscher um Haiyin Wang in der Mai-Ausgabe der Annals of Translational Medicine schrieben. Dies überlastete die Krankenhäuser und trieb Kreuzinfektionen in die Höhe. Im Zuge des Lockdowns wurden Videosprechstunden dann schnell zur bevorzugten Option. Es entstanden sogar Online-Krankenhäuser, die seither ein breites Spektrum anbieten: Diagnose, psychologische und Quarantäne-Beratung, Betreuung bei chronischen Krankheiten.

Da China nur 1,8 Ärzte je 1.000 Einwohner hat, verglichen mit 4,3 je 1.000 in Deutschland, bildeten sich dort oft lange Schlangen vor den Kliniken – auch mit Patienten, die nur leichte Erkrankungen hatten. Die regionalen Ungleichheiten bei der Versorgungsstruktur sind deutlich. Auch in den USA, wo die Menschen teilweise sehr verstreut leben und über große Distanzen fahren müssen, um einen Arzt zu sehen, spricht man von „Versorgungswüsten“, die man hofft, telemedizinisch zu „begrünen“.

Ressourcen freihalten

Grafik: Gründe für Nichtnutzung der VideosprechstundeAngesichts dieser doch recht anderen Kontexte: Wie relevant ist die Videosprechstunde für uns? Nun: Auch hier kann sie dafür sorgen, dass Patienten zu Hause bleiben, wenn es vertretbar ist. Sie ist ein hocheffektives Mittel, um Kreuzinfektionen zu verhindern, Ängste zu lindern und so mehr Ressourcen für die Patienten zu haben, die tatsächlich Hilfe brauchen.

Langfristig spricht auch die demografische Entwicklung für ein Integrieren der Videosprechstunde in den Praxisalltag. Denn der steigenden Zahl der Konsultationen bei vergleichsweise wenig medizinischem Nachwuchs und mehr Teilzeitarbeitsmodellen erfordert einen cleveren Strategiemix, um die Versorgung dauerhaft zu gewährleisten. Und doch stellt sich bisweilen die Frage, ob die oft postulierte Zeitersparnis Fakt ist oder vielleicht eher ein Wunschdenken widerspiegelt.

Aufgrund der noch eher rudimentären Daten kann die Frage der Effizienz derzeit nicht befriedigend beantwortet werden. Umfragen unter anwendenden Ärzten zeigen jedoch bereits einige Fallstricke. Eine qualitative Studie aus dem Westen Englands erhob zwischen 2015 und 2016 Eindrücke aus sechs allgemeinmedizinischen Praxen. Den meisten E-Konsultationen folgte dort ein Realkontakt, weil die Informationen via Bildschirm für eine klinische Entscheidungsfindung nicht ausreichten. Dies wurde als zusätzliche Arbeitsbelastung empfunden. Wesentliche Merkmale vieler hausärztlicher Konsultationen sind eben zunächst mehrdeutige und nicht klar abgegrenzte Symptome. Per Video lässt sich jedoch nur einer klar umrissenen Symptomatik begegnen. Doch selbst dann, so berichtet ein weiteres britisches Forscherteam auf Basis qualitativer Interviews, falle die emotionale Komponente oft hinter der des realen Kontakts zurück. Ob es die Bindung beeinflusst, wenn der Kontakt via Bildschirm stattfindet?

Realkontakt ist reichhaltiger

Zum Rückgang der persönlichen Arzt-Patienten-Kontakte hatte Dr. Gerald Quitterer, Präsident der Bayerischen Landesärztekammer, in den vergangenen Jahren mehrfach Sorge geäußert. „Der Arzt kommt in eine gewisse Verantwortung, wenn er den Patienten über die Ferne behandelt und sich nur auf Schilderungen oder Algorithmen verlassen muss, die er dann an den Patienten abarbeitet“, hatte Quitterer 2018 gegenüber dem Deutschlandfunk gesagt. Die Frage ist: Macht es einen Unterschied, ob man sich via Bildschirm oder in der Realität begegnet? Im Realkontakt, so zeigen Studien zu Business-Meetings, wird mehr Beziehung zwischen den Akteuren geknüpft; es wird mehr nebenbei, informell, noch eben in den Raum geworfen – und diese Informationen können bisweilen unerwartet große Bedeutung haben.

Patientenerwartung und -erleben

Es gibt also gute Gründe, weshalb der persönliche Kontakt weiterhin Goldstandard bleibt. Auch zeigen beispielsweise Erfahrungen aus Russland (Moskau), dass die Patienten dort die Videosprechstunde als „nicht wirklich medizinischen Service“ wahrnahmen. Vielmehr wirkte die Videosprechstunde auf viele quasi-medizinisch, wie eine Ergänzung zur eigenen Internetrecherche. Mangelndes Vertrauen in eine akkurate Diagnose könnte aber die Compliance schwächen oder auch die Tendenz befördern, noch eine zweite Meinung einzuholen, was die Ressourcen des Gesundheitssystems insgesamt mehr strapazieren könnte.
Immer wieder wurde in internationalen qualitativen Studien über die Diskrepanz dessen berichtet, wozu Patienten die Videosprechstunde nutzen wollten und was tatsächlich möglich war. Sie müssen also dafür sensibilisiert werden, was ein angemessener Umgang mit diesem Angebot ist.

In einer Umfrage des schwedischen Karolinska-Instituts mit 32 allgemeinmedizinischen Praxen fanden über die Hälfte der Ärzte nicht, dass die Videosprechstunde effektiver sei als die Face-to-Face-Konsultation. Eine wesentliche Herausforderung sei hingegen, die Patienten zu der Art der Konsultation zu leiten, die ihrem Beschwerdebild entspricht. Deshalb wurde hier die Idee einer vorgeschalteten (halb-)automatischen Triage zu diesem Entscheidungszweck mehrheitlich befürwortet.

Beliebt bei unter 70-Jährigen

Dennoch: In der Pandemie wissen die Patienten das Angebot sehr zu schätzen, auch ältere. Urologen um Dr. Katharina Böhm von der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz klärten zunächst per Telefon, ob die Beschwerden der Patienten für eine Videosprechstunde infrage kommen. Zu 63 Prozent war dies der Fall. Wenn sie gefragt wurden, äußerten knapp 85 Prozent, dass sie eine Videosprechstunde dem persönlichen Erscheinen vorziehen würden. 95 Prozent von ihnen hatten mindestens einen Risikofaktor für einen schweren COVID-19-Verlauf. Diejenigen, die Telemedizin bevorzugten, waren zwar jünger, aber durchaus auch im fortgeschrittenen Alter (im Schnitt 68 gegenüber 76 Jahren). Widerstände gegen die Telemedizin sind oft in Unsicherheit im Umgang mit Informationstechnologien begründet, zum Teil wohl auch mit einer geringeren Aufgeschlossenheit gegenüber Veränderungen. Für Patienten über 80 Jahre kann die neue Herausforderung bisweilen zu groß sein.

Videosprechstunde gut geeignet bei Zwischenfragen

Wie gut ein Patient seine Beschwerden schildern kann, reflektiert seine Bildung und kommunikative Kompetenz. Sind diese gegeben, können E-Konsultationen sehr präzise verlaufen. Hat der Patient bereits Erfahrung mit seiner Krankheit und benötigt nur einen Routine-Rat, wie etwa zur leichten Dosisanpassung seiner Medikation, wird die Videosprechstunde oft beidseitig als befriedigend und dem Realkontakt gleichwertig erlebt. Was sonst noch ganz konkret und praktisch zu einer gelungenen und rechtssicheren Videosprechstunde beiträgt, lesen Sie im Abschnitt “Virtuell erfolgreiche Patientengespräche führen”.

Vergütung und Anschubförderung
Bis Ende März 2021 sind Videosprechstunden erst mal unbegrenzt möglich, das gilt für Fallzahl und Leistungsmenge. Für bis zu 50 Videosprechstunden im Quartal gibt es pro Videosprechstunde einen Technikzuschlag von 4,21 Euro (GOP 01450). Für die Authentifizierung eines unbekannten Patienten gibt es per GOP 01444 zehn Punkte (1,10 Euro). Seit Oktober 2019 erhalten Ärzte für maximal zwei Jahre für bis zu 50 Online-Visiten im Quartal zehn Euro je Sprechstunde zusätzlich. Dies erfolgt als Zuschlag über die GOP 01451 (Bewertung: 92 Punkte/10,11 Euro). Voraussetzung sind mindestens 15 Videosprechstunden im Quartal.

Checkliste – Das brauchen Sie:

  • Bildschirm mit Kamera
  • Mikrofon und Lautsprecher
  • Internetverbindung.
  • Zertifizierten Videodienstanbieter

Virtuell erfolgreiche Patientengespräche führen

Über die Hälfte der Ärzte in Deutschland bieten inzwischen Videosprechstunden an. Im ersten Teil dieses Beitrags haben wir Erwartungshaltungen mit Erfahrungswerten abgeglichen. Nun soll es um die praktische Umsetzung gehen.

Zertifizierter Anbieter ist Pflicht

Mittlerweile ist vieles möglich, so auch die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit bekannter Patienten per Videosprechstunde, begrenzt auf sieben Kalendertage (für Folgekrankschreibungen muss die Krankschreibung nach einer persönlichen Untersuchung festgestellt worden sein). Jedoch müssen zunächst bestimmte Regelungen zur Anwendung und Technik erfüllt sein. Gängige frei verfügbare Anbieter wie Skype oder WhatsApp VideoCall sind in Deutschland zu diesem Zweck nicht zulässig. Hierzulande muss der Videodienstanbieter von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) zertifiziert sein. Eine mittlerweile umfangreiche Liste zertifizierter Videodienstanbieter ist auf der Homepage der KBV zum Thema Videosprechstunde einsehbar. Die dort aufgeführten Anbieter erfüllen bestimmte technische Voraussetzungen und setzen die DatenschutzGrundverordnung (DSGVO) um. Eine verschlüsselte Peer-to-Peer-Verbindung gewährleistet Informationssicherheit.

Vor der ersten Videosprechstunde muss die Einwilligung des Patienten eingeholt werden, da trotz der sicheren Verbindung schließlich immer noch besonders schützenswerte Gesundheitsdaten vom Videodienstanbieter verarbeitet werden.

Normalerweise müssen Praxen ihrer Kassenärztlichen Vereinigung (KV) erst anzeigen, einen zertifizierten Video­dienstanbieter zu nutzen, bevor sie die Videosprechstunde abrechnen können. Diese Regelung ist derzeit pandemiebedingt in einigen KV-Regionen vorübergehend ausgesetzt. Informieren Sie sich dennoch zur Sicherheit vorab bei Ihrer Kassenärztlichen Vereinigung. Wenn Sie einen Vertrag mit einem zertifizierten Videodienstanbieter geschlossen haben, erhalten Sie von diesem eine Bescheinigung, dass dieser Dienst gemäß Anlage 31b zum BMV-Ä zur Informationssicherheit, zum Datenschutz und zu den Inhalten zertifiziert ist.

Über die Besonderheiten aufklären

Nachdem Sie sich bei einem zertifizierten Videodienstanbieter registriert haben, übermittelt dieser Ihnen Informationen zum Einwählen in die sichere Verbindung. Patienten können auf zweierlei Wegen in die Videosprechstunde finden: Über Ihre Praxis – Sie könnten Videosprechstundenzeiten auf Ihrer Website angeben – oder im Falle einer offenen Sprechstunde über den Dienstanbieter.

Nach dem Einwählen hält sich der Patient in einem virtuellen Wartezimmer auf, bis er vom Arzt zugeschaltet wird. Unbekannte Patienten müssen authentifiziert werden: War der Patient bisher noch nie in der Praxis, hält er seine elektronische Gesundheitskarte in die Kamera. Mündlich bestätigt er, dass er über Versicherungsschutz verfügt. Der Patient muss zudem über die Besonderheiten der Videosprechstunde aufgeklärt werden. Ihm muss bewusst sein, dass nur eine eingeschränkte Befunderhebung möglich ist und ein Besuch vor Ort immer noch notwendig werden kann. Auch muss ihm klar sein, was er bei einer Verschlechterung seines Zustands zu tun hat. Die Videosprechstunde muss vertraulich und störungsfrei verlaufen und darf von niemandem aufgezeichnet werden. Werbung darf nicht stattfinden. Nach Durchführung der Videosprechstunde melden sich beide Parteien von der Internetseite ab. Abschließend wird die Behandlung im Praxisverwaltungssystem dokumentiert. Delegierbare administrative Arbeiten können die MFA übernehmen. Details zur Dokumentation sind in der „Handreichung für Ärztinnen und Ärzte zur Umsetzung von Videosprechstunden in der Praxis“ der Bundesärztekammer nachzulesen.

Für eine gute Verbindung

Natürlich hat auch die Durchführung einer Videosprechstunde ihre Einschränkungen. Ist die Region des Patienten nicht gut ans Internet angebunden, kann es zu Unterbrechungen kommen, die ein sinnvolles Gespräch untergraben. Weil so beispielsweise die Anamnese erheblich beeinträchtigt wird und weitere Missverständnisse auftreten könnten, sollte in diesem Fall keine Videosprechstunde durchgeführt werden. In aller Regel sollte die Verbindung frei von technischen Störungen sein. Insofern ist das ständige Anpreisen der Videosprechstunde als Lösung für strukturell schwache Regionen mit einer Prise Salz zu nehmen. Denn falls der Wohnort des Patienten durch den schleppenden Breitbandausbau noch unterversorgt ist, ist die Durchführung einer Videosprechstunde fast unmöglich.

Falls eine an sich gute Verbindung plötzlich hakt und Bild und Ton ruckeln, fragen Sie Ihren Patienten, ob gegebenenfalls gerade im Hintergrund Programme oder Prozesse laufen, die viel Bandbreite beanspruchen, wie etwa ein Update. Auch sollten weitere Haushaltsmitglieder auf das Streamen von Filmen und Ähnliches über denselben Anschluss für die Dauer der Videosprechstunde verzichten.

Für eine gelungene Kommunikation

Wenn es hin und wieder nur zu einem kleinen sogenannten Timelag kommt, also zu einer Verzögerung der Übermittlung von Bild und Ton, begrenzen Sie die Zahl Ihrer „Ahas“ oder „Mhms“, mit denen Sie üblicherweise aktives Zuhören signalisieren. Visuelle Signale wie Kopfnicken erfüllen denselben Zweck und werden als weniger störend erlebt, wenn sie zeitversetzt beim Empfänger ankommen.

Zu subtil sollten Ihre para- und nonverbalen Signale allerdings auch nicht sein. Denn via Bildschirm könnten sie sonst untergehen, mit der Folge, dass der für die Kommunikation notwendige Beziehungsaufbau unzureichend erfolgt.

Auch im virtuellen Raum werden Empathie, Präsenz und Mitgefühl von Patienten als wichtige Elemente eines gelungenen Arztbesuchs gewertet. Signalisieren Sie durch Blickkontakt mit der Kameralinse, durch eine lebendige Mimik und eine wache Körperhaltung volle Aufmerksamkeit. Achten Sie auf eine gute Ausleuchtung, sprechen Sie nicht aus dem Halbdunkel mit Ihren Patienten. Achten Sie auch auf eine Kameraposition auf „Augenhöhe“. Das ermöglicht eine optimale „Gaze awareness“. Dieser Begriff bezeichnet die Übermittlung mimischer Daten, anhand derer Sprecher die Sprechverteilung untereinander organisieren. Ein guter Blickkontakt vereinfacht die Einteilung der Sprechmomente und vermeidet bizarre Pausen.

Konzentration und Fokus halten

Da sich im Zuge der Pandemie auch weniger technikaffine Patienten an dieses Format heranwagen, stellen Sie beim ersten Mal sicher, dass der Patient mit der Anwendung zurechtkommt. Um inhaltliches Verständnis zu fördern, können je nach Thematik vorbereitete Diagramme und Schemata hilfreich sein. In einer idealen Welt wäre auch das Umfeld des Patienten ruhig. Doch nicht ohne Grund üben beispielsweise Studierende am Universitätsklinikum des Saarlandes im Rahmen des Homburger Kommunikations- und Interaktionstrainings (HOM-KIT), damit umzugehen, wenn etwa immer wieder der Hund des (Schauspiel-)Patienten durchs Bild läuft. Allgemeingültige Empfehlungen können hier am tierischen Verhalten scheitern. Flexibilität und mentale Vorbereitung auf diese Eventualitäten helfen.

An Unbesehenes denken

Die sogenannte VOCAL-Studie 2016 („Virtual Online Consultations“) untersuchte Chancen und Grenzen der Videosprechstunde im Kontext von Nachsorge bei Prostatakrebs-OPs und Diabetes in London. Bei telefonischen Konsultationen hatte sich zuvor eine stark lineare Abfolge vorgeplanter Themen mit schmalem Fokus gezeigt. Die Forscher wollten wissen, ob das visuelle Enrichment per Bildschirm den Fokus erweitern und somit der Kontakt dem realen Arztbesuch näherkommen könnte. Tatsächlich empfanden die Patienten in dieser Studie keinen signifikanten Unterschied hinsichtlich der Vertraulichkeit, der Effizienz, der Informationsvermittlung und Gesamtzufriedenheit. Dennoch bleibt festzuhalten, dass dieses Format nicht geeignet ist, um komplexen Themen auf die Spur zu kommen. Auch ist nicht ausgeschlossen, dass im Zuge der Videosprechstunde etwas übersehen wird, das im Realkontakt gleich aufgefallen wäre, beispielsweise eine leicht gekrümmte Haltung des Patienten bei der Fortbewegung, was beim Sitzen vor dem Monitor schlicht nicht sichtbar wird.

Gekommen, um zu bleiben

Zusammengefasst bietet die Videosprechstunde also einen Beitrag zur Eindämmung von Infektionen, was zu Pandemiezeiten besonders hilfreich ist. Hinzu kommt allgemein eine Entlastung von Patienten, die bei langen Anfahrtswegen, kleinen Kindern oder Mobilitätseinschränkungen relevant sein können. Doch auch von Patienten ohne besondere Einschränkungen wird sie als bequemer Service erlebt. Dies könnte neue Patienten bringen und den Bestand binden.

Bei einer Umfrage der Stiftung Gesundheit zusammen mit dem health innovation hub gaben knapp 74 Prozent der befragten Ärztinnen und Ärzte an, dass sie auch nach der aktuellen Pandemie einen Anteil der Videosprechstunden von bis zu 20 Prozent erwarten. Nur 18 Prozent glauben, dass sich der Bedarf danach auflösen wird. Voraussichtlich wird sich die Videosprechstunde als Teil des Versorgungsalltags etablieren. Wichtig ist, dass die Ärzteschaft diesen Prozess aktiv mitgestaltet.