Wirtschaftsnachrichten für Ärzte | ARZT & WIRTSCHAFT
Praxis

Manchmal scheinen sich niedergelassene Ärztinnen und Ärzte im Hamsterrad zu drehen: zu viele Patienten, zu wenig Zeit und dazu die überbordenden Verwaltungsaufgaben. Manche fragen sich dann: Wie kann ich mich beruflich neu orientieren, welchen neuen Impuls kann ich setzen, um wieder Freude am Beruf zu erlangen? Vielleicht kann die Tätigkeit als medizinischer Sachverständiger/medizinische Sachverständige weiterhelfen und einen lohnenden Nebenverdienst mit neuer Perspektive schaffen? Denn diese Arbeit können Niedergelassene auch nebenberuflich mit der eigenen Praxis vereinbaren. 

Als medizinische Sachverständige beurteilen Ärztinnen und Ärzte zum Beispiel medizinische Zweifelsfragen in Arzthaftungsprozessen, zu Körperschäden aufgrund eines Unfalls oder zu den Kosten beziehungsweise der Abrechnung einer Behandlung. Sie können dabei als Privatgutachter im Auftrag eines Patienten tätig werden, für eine Versicherung, eine Behörde oder den Medizinischen Dienst (MD) arbeiten, aber auch im Auftrag eines Gerichts. Die Bezeichnungen „Gutachter/-in“ und „Sachverständige/-r“ werden dabei vielfach synonym verwendet. In gerichtlichen Verfahren heißt die richtige Bezeichnung jedoch „Sachverständige/-r“.

Wie wird man medizinischer Sachverständiger?

Voraussetzung für die Arbeit als medizinischer Sachverständiger sind ein abgeschlossenes Medizinstudium nebst Approbation sowie eine abgeschlossene Facharztausbildung. Damit können sich Ärztinnen und Ärzte in das Gutachterverzeichnis ihrer zuständigen Ärztekammer aufnehmen lassen. Dort können Privatpersonen, Anwälte, Versicherungen oder Gerichte nach Sachverständigen suchen. Zusätzlich ist meist praktische Erfahrung vonnöten. So verlangt etwa die Ärztekammer Hamburg eine dreijährige Berufstätigkeit. Zudem dürfen keine gravierenden berufsrechtlichen Verstöße bekannt sein. Die Voraussetzungen für die Aufnahme in das Verzeichnis unterscheiden sich von Kammer zu Kammer. Oft sind zusätzlich juristische oder versicherungsrechtliche Grundkenntnisse erforderlich. Daher müssen Ärztinnen und Ärzte, die als Gutachter arbeiten wollen, häufig noch an Weiterbildungsprogrammen teilnehmen.

Die Ärztekammern bieten zum Teil eigene Curricula an, etwa speziell zur verkehrsmedizinischen Begutachtung. Auch die Bundesärztekammer stellt ein Curriculum „Medizinische Begutachtung“ bereit. Dieses umfasst drei Module mit 64 Unterrichtseinheiten. Die einzelnen Module können separat belegt werden. Wer das Curriculum der Bundesärztekammer erlangen möchte, muss die Module I und II sowie das entsprechende fachspezifische Modul III absolvieren und eine abschließende Prüfung bestehen. Das Modul III wird für verschiedene Fachgebiete der Begutachtung angeboten, etwa für das Gebiet Innere Medizin und Rheumatologie. Ärztinnen und Ärzte bekommen dort unter anderem Kenntnisse zur finalen (Zustands-)Begutachtung, Kausalitätsbegutachtung, zu speziellen Erkrankungen/Funktionsstörungen, Berufskrankheiten und Arbeitsunfällen vermittelt. Ärztinnen und Ärzte können bereits während der Weiterbildungszeit zum Facharzt teilnehmen. Mit dem Kurs können sie außerdem Fortbildungspunkte erwerben.

Weiterbildungsmöglichkeiten für Ärztinnen und Ärzte

Die TU Dresden bot bis vor Kurzem für Ärztinnen und Ärzte die Fortbildung „Qualifizierung Medizinischer Sachverständiger cpu“ an. Sie dauerte ein Jahr, umfasste sechs Module und war damit eine sehr umfangreiche Weiterbildung. Sie wird aktuell nicht mehr angeboten. 

An der Universität Tübingen können Ärztinnen und Ärzte den Zertifikatsstudiengang Versicherungsmedizin belegen. Weitere Studiengänge für Versicherungsmedizin gibt es in Basel und Wien. Im Bereich Sozialmedizin können Ärzte die Weiterbildung für die Zusatzbezeichnung in Sozialmedizin und Rehabilitationswesen absolvieren, die von der Deutschen Rentenversicherung Bund angeboten wird. Hier kommt im Anschluss eine Tätigkeit als Gutachterin oder Gutachter für den MD in Betracht.

Wer überlegt, die eigene Praxis ganz an den Nagel zu hängen, kann zum Beispiel als Gutachter oder Gutachterin eine Anstellung beim MD, bei einer Krankenkasse oder der Deutschen Rentenversicherung finden. Auch medizinische Gutachteninstitute bieten Jobs. Die Vorteile sind geregelte Arbeitszeiten und ein guter Verdienst. Medizinische Gutachter beim MD werden beispielsweise nach dem Tarifvertrag der Medizinischen Dienste bezahlt. In der für Ärztinnen und Ärzte niedrigsten Vergütungsgruppe zwölf beträgt das Gehalt je nach Erfahrungsjahren zwischen 6.375 und 7.144 Euro. In der Vergütungsgruppe 16 sind bis zu 10.728 Euro drin.

Als gerichtlicher Sachverständiger arbeiten

Auch von Gerichten können Ärztinnen und Ärzte als Sachverständige bestellt werden – das ist dann allerdings keine ganz freiwillige Arbeit, sondern eine Verpflichtung. Geregelt ist das in § 404 Abs. 1 Satz 2 der Zivilprozessordnung. Zwischen den Sachverständigen und dem Gericht besteht eine öffentlich-rechtliche Beziehung eigener Art und keine vertragliche Beziehung. Ärzte können die Ernennung wie beim Zeugnisverweigerungsrecht nur in Ausnahmefällen ablehnen, etwa dann, wenn verwandtschaftliche Beziehungen zu dem zu Begutachtenden bestehen oder sie die Person bereits zuvor behandelt haben. 

Hat das Gericht den Arzt mit einem gerichtlichen Gutachten beauftragt, muss der Arzt unverzüglich überprüfen, ob der Auftrag in sein Fachgebiet fällt und ohne die Hinzuziehung eines weiteren Sachverständigen innerhalb der vorgesehenen Frist bearbeitet werden kann. Bei wiederholter Fristversäumnis kann das Gericht Sanktionen verhängen. Der gerichtlich beauftragte Sachverständige muss das Gutachten persönlich erstellen und darf den Auftrag keinem anderen Arzt übertragen, etwa durch Delegation. Er muss sich bei Erstellung des Gutachtens an den gerichtlichen Beweisbeschluss halten und die dort genannten Fragen klären.

Wer vom Gericht als Gutachter beauftragt wurde, wird nach den Bestimmungen des Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetzes bezahlt. Das Stundenhonorar richtet sich nach drei Schwierigkeitsgraden und beträgt aktuell je Stunde zwischen 80 und 120 Euro. Fahrtkosten und eine Entschädigung bei einer längeren Abwesenheit vom Wohnort werden gesondert vergütet.

Als Sachverständige/-r vor Gericht

Die Justiz duldet keine Verzögerung

Eine gerichtlich bestellte medizinische Sachverständige zog sich den Zorn des Gerichts zu und büßte ihr Honorar ein, weil sie das Gutachten nicht schnell genug erstellte. Die Bezahlung kann entfallen, wenn das Gutachten objektiv feststellbare Mängel aufweist und deshalb unverwertbar ist, entschied das Landessozialgericht Baden-Württemberg (21.08.2024, Az. L 10 KO 2110). Die Ärztin hatte im September eine ambulante Untersuchung durchgeführt, das Gutachten dazu aber trotz mehrmaliger Aufforderung und nach einem Ordnungsgeld von 600 Euro erst Ende März des Folgejahres bei Gericht eingereicht. Das Gericht verweigerte die Bezahlung von rund 3.000 Euro. Das Gutachten sei nicht verwertbar, da nach mehr als sechs Monaten davon auszugehen sei, dass die Erinnerung der Sachverständigen an die Exploration und den persönlichen Eindruck vom Probanden verblasst sei.

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