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Praxis

Etwas plakativ ist oft von der „Pandemie nach der Pandemie“ die Rede. Denn viele Menschen leiden nach überstandener SARS-CoV-2-Infektion unter anderem an Erschöpfung, Kurzatmigkeit oder Störungen des Geruchs- und Geschmackssinns – Symptome, die unter Long-COVID zusammengefasst werden (siehe Kasten).

Laut einer Studie der englischsprachigen Fachzeitschrift „Nature Reviews Microbiology“ sind mindestens 65 Millionen Menschen weltweit von Long-COVID betroffen. In Deutschland sind es schätzungsweise eine Million Patienten. Die Zahlen dürften steigen, da SARS-CoV-2 als endemisches Virus zu weiteren Infektionen und damit zu möglichen weiteren Langzeitfolgen führt.

Als besonders gravierende Langzeitfolge kann Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom (ME/CFS) aus einer Corona-Infektion resultieren. Die neuroimmunologische Erkrankung ist bislang noch wenig erforscht und stellt deshalb viele Ärzte vor Herausforderungen im Praxisalltag. Gleiches gilt für die Betreuung von Patienten mit anderen Long-COVID-Symptomen.

Verschiedene Leitfäden als Stütze für Niedergelassene

Aus diesem Grund gibt es seit geraumer Zeit eine Betroffenen-Initiative namens „Long COVID Deutschland“ (LCD). Sie sieht sich einerseits als gesundheitspolitische Initiative, um das Leid vieler Patienten mehr in den Blickpunkt der Öffentlichkeit zu rücken. Andererseits bietet sie durch die Zusammenarbeit mit Verbänden und Institutionen wie der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS und dem Charité Fatigue Centrum auch fachliches Informationsmaterial für Hausärzte auf ihrer Webseite. Die Organisation kann so für Niedergelassene zu einer Anlaufstelle bei der Betreuung von Long-COVID-Patienten werden – dazu tragen auch Ärzte bei, die selbst an Long-COVID erkrankt sind und sich ehrenamtlich für LCD engagieren.

Hausärzte können sich außerdem an der Leitlinie Long/Post-COVID orientieren, die die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) aufgestellt hat. Die ärztliche Leitlinie bietet einerseits einen Überblick zum Forschungsstand des komplexen Krankheitsbildes und zeigt ihnen, was bei der Patientenversorgung im Hinblick auf Long-COVID wichtig ist. Das beinhaltet neben der richtigen symptomatischen Behandlung auch Aspekte wie eine psychosomatische und psychosoziale Betreuung, aber auch nichtärztliche Leistungen im Gesundheitswesen wie zum Beispiel die Physiotherapie.

Hier kommen auch die Hausärzte wieder ins Spiel: Allgemeinmediziner können bei Long-COVID-Symptomen eine individuelle physiotherapeutische Behandlung verordnen – darauf weist der Bundesverband selbstständiger Physiotherapeuten IFK hin. Auch Reha-Verordnungen sind denkbar, sie können je nach Schwere darauf abzielen, die Belastungsfähigkeit der Patienten kontinuierlich zu steigern.

Die Leitlinie Long/Post-COVID gibt darüber hinaus Fachärzten eine Orientierung und kann so genaue Anhaltspunkte liefern, an wen Niedergelassene ihre Patienten je nach Symptomatik am besten überweisen sollten. Sie basiert auf dem aktuellen medizinischen Forschungsstand und ist derzeit wieder in Überarbeitung.

Auch ohne Therapie können Ärzte viel bewirken

Bevor Patientinnen und Patienten mit Long-COVID behandelt werden, ist es zudem wichtig, ihnen als Hausarzt aufmerksam zuzuhören. Viele Betroffene haben das Gefühl, mit ihren Beschwerden nicht ernst genommen zu werden, und fühlen sich dadurch oft allein gelassen. Einige Arztpraxen in Deutschland haben sich deshalb auf Post-COVID-Sprechstunden spezialisiert, eine Auflistung der Angebote gibt es zum Nachlesen auf der LCD-Internetseite.

Aber auch ohne Spezialisierung können Arztpraxen in ihrer Sprechstunde einen Raum bieten, in dem Betroffene ihr Leiden zum Ausdruck bringen können. Aus Erfahrungsberichten lässt sich herauslesen, dass es für die Patienten schon sehr viel bedeutet, wenn Ärzte für sie da sind, auch wenn sie bei der Behandlung an ihre Grenzen stoßen.

Ähnliches Krankheitsbild verunsichert zusätzlich

Diesen Wunsch teilen sich Long-COVID-Betroffene mit Menschen, die am sogenannten Post-Vac-Syndrom leiden. Hier handelt es sich um länger anhaltende Beschwerden, die nach einer Corona-Schutzimpfung auftreten können. Sie ähneln oft einem Long-COVID-Verlauf, zu den genauen Ursachen für dieses Phänomen fehlt es aber noch an Forschungsergebnissen.

Beim Paul-Ehrlich-Institut sind bis zum 31. März 2023 1.452 Meldungen über Verdachtsfälle von Impfnebenwirkungen eingegangen, die als Post-Vac-Syndrom eingestuft werden. Auch wenn hier im Vergleich zu Long-COVID weniger Personen davon betroffen sind: Für Hausärzte ist es beim Post-Vac-Syndrom genauso ratsam, ein offenes Ohr für Betroffene zu haben. Die Leitlinie der AWMF kann auch für diesen Fall eine Stütze sein.

Welche Symptome und Beschwerden bei Long-COVID auftreten können
  • Erschöpfung, eingeschränkte Belastbarkeit
  • kognitive Beschwerden wie Konzentrations- oder Gedächtnisprobleme (brain fog)
  • respiratorische Beschwerden (Kurzatmigkeit, persistierender Husten)
  • Störung des Geruchs- und Geschmackssinns
  • ME/CFS
  • Verschlechterung der Lungen- und Nierenfunktion
  • erhöhtes Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen,
  • Diabetes und anderen Autoimmunerkrankungen
  • Depression, Angsterkrankungen, posttraumatische Belastungsstörung

Quellen: Robert Koch-Institut, S1-Leitlinie Long/Post-COVID der AWMF

Links zur Patientenversorgung

  • longcoviddeutschland.org. Die Internetpräsenz der Betroffenen-Initiative „Long COVID Deutschland“.
  • Das Charité Fatigue Centrum dient mit seiner Webseite (cfc.charite.de) als fachliche Anlaufstelle für Ärzte und informiert unter anderem auch über ihr Netzwerk zur Behandlung von Fatigue und ME/CFS.
  • Unter register.awmf.org/de/leitlinien/detail/020-027 steht die S1-Leitlinie Long/ Post-COVID zum Download zur Verfügung.