Wirtschaftsnachrichten für Ärzte | ARZT & WIRTSCHAFT
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Was für viele Arbeitnehmer als Ausnahme gilt, ist für niedergelassene Ärztinnen und Ärzte hingegen Alltag. Im Schnitt arbeiten sie bei einer Vollzeittätigkeit pro Woche 48,8 Stunden, im hausärztlichen Bereich sind es sogar 50,0 Stunden. Doch was bedeutet diese Dauerbelastung für den eigenen Körper – und insbesondere für das Gehirn? Neue neurowissenschaftliche Erkenntnisse werfen einen besorgniserregenden Blick hinter die Stirn der Langarbeitenden. Sie legen erstmals nahe, dass durch Überarbeitung messbare strukturelle Veränderungen in Hirnregionen entstehen, die für emotionale Stabilität und kognitive Kontrolle entscheidend sind.

Überarbeitung ist ein gesundheitlicher Risikofaktor

 

Zu diesen Ergebnissen kommt die Pilotstudie „Overwork and changes in brain structure“. Ihr Ziel war es, die Auswirkungen von Überarbeitung auf die Gehirnstruktur sowie die kognitive und emotionale Gesundheit zu untersuchen. Bisher gibt es dazu kaum Erkenntnisse, während die psychologischen und verhaltensbezogenen Konsequenzen übermäßiger beruflicher Belastung gut erforscht sind. So ist beispielsweise schon lange bekannt, dass lange Arbeitszeiten mit verschiedenen negativen gesundheitlichen Folgen in Verbindung gebracht werden können, darunter Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Stoffwechselstörungen und psychische Probleme wie Depressionen und Angstzustände. Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) schätzt sogar, dass jährlich mehr als 800.000 Menschen an den Folgen langer Arbeitszeiten sterben.

In der aktuellen koreanischen Pilotstudie wurden gezielt Menschen untersucht, die im Gesundheitswesen arbeiten, das auch in Korea für ein hohes Arbeitspensum bekannt ist. Dafür rekrutierten die Wissenschaftler 110 Probanden aus der Gachon Regional Occupational Chort Study (GROCS). GROCS ist seit 2018 eine groß angelegte Längsschnittstudie zu Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz. Die Studienteilnehmer wurden in zwei Gruppen eingeteilt: die Überlasteten mit mehr als 52 Arbeitsstunden pro Woche und die nicht Überlasteten. Mithilfe von MRT-Untersuchungen überprüfte das Forschungsteam, ob sich zwischen den beiden Gruppen unterschiedliche Gehirnstrukturen nachweisen lassen.

Langarbeitende haben Veränderungen im Gehirn

Die Ergebnisse waren eindeutig: Die überarbeiteten Teilnehmer wiesen signifikante Veränderungen in Hirnregionen auf, die mit exekutiven Funktionen und emotionaler Regulation in Verbindung gebracht werden. Für die Analyse verwendeten die Wissenschaftler zwei Methoden: die atlasbasierende Volumenanalyse und die voxelbasierende Morphometrie (VBM). Mithilfe der ersten Untersuchungsmethode wurden 68 kortikale und 45 subkortikale Hirnregionen untersucht. Dabei war der linke kaudale mittlere frontale Gyrus die einzige Region, die einen signifikanten Unterschied zwischen den Gruppen aufwies. Im Vergleich zur unbelasteten Gruppe zeigte sich bei den Langarbeitenden ein größeres Volumen in dieser Region mit einem Plus von 19 Prozent. Dieser Bereich des Gehirns spielt eine wichtige Rolle bei verschiedenen kognitiven Funktionen, insbesondere im Frontallappen. Er ist an der Aufmerksamkeit, dem Arbeitsgedächtnis und der Sprachverarbeitung beteiligt.

Auch bei der VBM-Analyse tauchten signifikante Unterschiede auf. So wies die überlastete Gruppe in 17 Hirnregionen höhere VBM-Spitzenwerte auf als die Vergleichsgruppe – einschließlich des mittleren frontalen Gyrus, der Insula und des oberen temporalen Gyrus. Die Insula spielt zum Beispiel eine Schlüsselrolle bei der Integration sensorischer, motorischer und autonomer Rückmeldungen des Körpers. Sie ist an der emotionalen Verarbeitung, der Selbstwahrnehmung und dem Verständnis des sozialen Kontextes beteiligt.

Weitere longitudinale Forschung ist notwendig

Einschränkend weisen die Wissenschaftler allerdings auch darauf hin, dass es sich hierbei nur um eine kleine Beobachtungsstudie handelt, sodass keine eindeutigen Schlussfolgerungen über Ursache und Wirkung gezogen werden können. Ihr Fazit: „Die bei überlasteten Personen beobachteten erhöhten Hirnvolumina könnten neuroadaptive Reaktionen auf chronischen beruflichen Stress widerspiegeln, auch wenn die genauen Mechanismen noch spekulativ sind. Obwohl diese Ergebnisse aufgrund des explorativen Charakters der Studie mit Vorsicht zu interpretieren sind, unterstreichen sie den dringenden Bedarf an weiterer Forschung, um diese Zusammenhänge zu bestätigen. Denn die Ergebnisse betonen auch, wie wichtig es ist, Überarbeitung als Gesundheitsproblem am Arbeitsplatz anzugehen, und verdeutlichen die Notwendigkeit einer Arbeitsplatzpolitik, die übermäßige Arbeitszeiten eindämmt.“

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