Risikofaktor ungesunde Ernährung
A&W RedaktionWie beeinflussen Zucker, Fett und hochverarbeitete Lebensmittel unsere Gesundheit und Mundgesundheit? Warum haben Vegetarier weniger Parodontitis, aber möglicherweise mehr Karies? Und muss man Zahnschäden als Kollateralschaden einer gesunden Ernährung hinnehmen? In dieser Folge des interdisziplinären Podcasts “Medizin trifft Zahnmedizin” geht es um den Risikofaktor ungesunde Ernährung.
Etwa ein Drittel der Deutschen weist das metabolische Syndrom auf, weltweit sind fast eine halbe Milliarde Erwachsene an Diabetes erkrankt. Die Prävalenz von Parodontitis ist laut der sechsten Deutschen Mundgesundheitsstudie sowohl unter jüngeren Erwachsenen als auch unter jüngeren Seniorinnen und Senioren sehr hoch. Ein Risikofaktor - sowohl für Erkrankungen in der Medizin als auch in der Zahnmedizin - ist eine ungesunde Ernährung. So gewinnt auch die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Medizin und Zahnmedizin bei dem Thema immer mehr an Relevanz.
Im Podcast „Medizin trifft Zahnmedizin“ spricht Günter Nuber, Gesamtredaktionsleiter Deutschland MedTriX Group, mit Prof. Dr. med. Erhard Siegel, ärztlicher Direktor des St. Josef-Krankenhauses Heidelberg und Chefarzt Gastroenterologie, Diabetologie, Endokrinologie und Ernährungsmedizin, und Prof. Dr. Johan Wölber, Professor für Parodontologie und Leiter des Bereichs Parodontologie an der Medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus der TU Dresden.
Welchen Stellenwert hat eine ungesunde Ernährung als Risikofaktor in der Medizin und der Zahnmedizin?
Es sind verschiedene Faktoren, die sich negativ auf die Gesundheit und die Mundgesundheit auswirken können. Welche Relevanz hat dabei die ungesunde Ernährung im Vergleich zu anderen verhaltensbedingten Risikofaktoren in Medizin und Zahnmedizin? Das wollte Moderator Günter Nuber von den beiden Experten wissen.
„Dieses gesamte Gebiet der Lifestyle-Faktoren, in dem die Ernährung sicherlich neben der Bewegung den wesentlichen Faktor ausmacht, ist heute die treibende Kraft für Entwicklungen von Zivilisationskrankheiten“, sagt dazu Mediziner Siegel, „Da gibt es die zunehmende Veränderung der Zusammensetzung der Ernährung, kaloriendichte und fettreiche Ernährung, auf der einen Seite und die dramatische Abnahme der Bewegung auf der anderen Seite. (...) Das führt natürlich zu diesem großen Anstieg an chronischen Erkrankungen.“
Auch für Zahnmediziner Wölber ist der Risikofaktor Ernährung zentral. „In der Zahnmedizin haben wir historisch einen gewissen Shift hingelegt“, sagt Wölber, „Wenn Sie heute zum Zahnarzt gehen, dann sagt er Ihnen, dass Sie besser Zähne putzen müssen. Das heißt, wir haben diese ganze Verheißung auf Mundgesundheit verschoben in Richtung Plaquekontrolle, Zähneputzen.“ Im Tierreich dagegen gebe es wenig Tiere, die sich so akribisch die Zähne putzen wie der Mensch.
Die Ernährung, aber auch andere Risikofaktoren wie Rauchen, haben sich in der Vergangenheit stark verändert, so Wölber. „Gleichzeitig kamen natürlich hilfreiche Hilfsmittel dazu, wie Mundhygiene oder Zähneputzen. Aber die Grundlagen liegen immer noch im Bereich der Lifestyle-Faktoren, mit Ernährung, Bewegung und anderen Risikofaktoren wie Rauchen (...). Das ist die Basis“, sagt der Zahnmediziner.
Ob sich Menschen früher gesünder ernährt haben, wie die Experten zu einer Zuckersteuer stehen und was sie von vegetarischer und veganer Ernährung aus Perspektive der Gesundheit und der Mundgesundheit halten, hören Sie im Podcast.
Personalisierte Ernährung: Sollten Zahnmediziner und Mediziner die Ernährungsempfehlungen an den Patienten anpassen?
Wie genau dagegen eine gesunde Ernährung aussieht, das hängt auch von der betreffenden Patientin oder dem Patienten ab - da sind sich Mediziner und Zahnmediziner einig. „Wir haben auf der einen Seite die Wissenschaft, die etwa nach Alter, BMI, Ethnie, Geschlecht, Mikrobiom oder Chronotyp personalisiert“, sagt Diabetologe Siegel, „Und auf der anderen Seite haben wir dann den Patienten, der vor uns sitzt." Der habe vielleicht nicht viel Geld, einen bestimmten Lebensstil oder Arbeitszeiten oder auch eine bestimmte Kultur oder Religion - und passe daher nicht unbedingt in die allgemeinen Empfehlungen. “Das heißt, wir haben hier eine Personalisierung, die individuell ganz anders abläuft“, sagt Siegel.
„Nicht jedem schmeckt alles, nicht jeder will alles machen. Man muss darüber reden“, sagt auch Zahnmediziner Wölber, “Ich plädiere da immer wieder für gesundheitspsychologische Methoden, zu schauen: Was sind Ressourcen, was kann der Patient, wo möchte er hin? Und ihn dann stückchenweise zu begleiten.“ Es gehe nicht darum, als „böse Ärzte“ dazustehen, die ihren Patientinnen und Patienten jeglichen Zucker verbieten wollen. “Ich stimme eigentlich mit jedem Patienten zusammen ab, wo er Veränderungen treffen kann und begleite das dann über die vielen einzelnen Treffen, die wir haben. Das ist ja das Schöne an der Zahnmedizin: Wir sehen die Patienten so regelmäßig, auch vermeintlich gesunde."
Wie Wölber seine Patienten in der Praxis berät, warum er in der Zahnmedizin ein großes präventives Potenzial in Ernährungsfragen sieht und warum das Stück Kuchen am Sonntag nicht das Problem ist, erklärt der Zahnmediziner im Podcast.
Der Zusammenhang zwischen Diabetes und Parodontitis: Wie wird die interdisziplinäre Zusammenarbeit in der Praxis gelebt?
Wie Medizin und Zahnmedizin bei der Ernährung zusammenhängen, zeigt sich besonders gut an den Wechselwirkungen von Diabetes und Parodontitis. Wissen Zahnärztinnen und Zahnärzte, ob ihre Patienten an Diabetes erkrankt sind? Und wissen Diabetologen, ob ihre Patienten Parodontitis haben? Auch darüber diskutieren die Experten im Podcast.
„Wir gehen eine Anamnese durch und fragen Patienten nach ihrem Allgemeingesundheitszustand“, sagt Zahnmediziner Wölber, „Da tauchen manche Fragen vielleicht auch mal nicht bei jeder Zahnärztin oder Zahnarzt auf. Aber wir haben recht ausführliche Anamnesebögen, das haben auch die meisten Zahnärztinnen und Zahnärzte. Ich glaube, die erfassen das wirklich alle ganz gut. Bei Parodontitis beispielsweise haben wir heutzutage den HbA1c-Wert mit in der Klassifikation. Das heißt, wir müssen Diabetikerinnen und Diabetiker fragen, wie es mit ihren Langzeitblutzuckerwerten aussieht.“
„Die Patienten müssen einmal im Jahr den Zahnarzt aufsuchen, um da entsprechend einen Befund zu bekommen - den wir dann auch fordern sollten“, sagt Mediziner Siegel im Podcast, „Ich stelle immer wieder fest: Es ist doch noch nicht bei allen immer wirklich angekommen. Insbesondere wenn Patienten eine Verschlechterung der Stoffwechsellage haben, wenn plötzlich mal der HbA1c hochgeht, ist es ganz wichtig, (...) zu fragen: Wann warst du das letzte Mal beim Zahnarzt? Geh bitte noch mal hin. Hast du Zahnfleischbluten?” Siegel betont, wie wichtig diese Erhebungen für Diabetologen sein können: “Ich hatte es nicht selten, dass hohe HbA1c-Werte nach Behandlung des Parodonts von alleine runtergegangen sind, ohne dass ich irgendeine medikamentöse Therapie verändert habe."
Wie Blutzuckerwerte und Parodontitis interagieren, wie wichtig die interdisziplinäre Zusammenarbeit ist und was Zahnmediziner Wölber noch an der Mundgesundheit erkennen kann, hören Sie im Podcast.
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Disclaimer: Aus Gründen der besseren Verständlichkeit wird in diesem Podcast hin und wieder nur das generische Maskulinum verwendet. Die hier verwendeten Personenbezeichnungen beziehen sich jedoch – sofern nicht explizit kenntlich gemacht – auf alle Geschlechter.