CME-Fortbildung: Patienten mit Internetnutzungsstörungen behandeln
Heiko FeketeBeim Verdacht einer Internetnutzungsstörung (INS) sind Hausärztinnen und -ärzte für viele Patienten die erste Anlaufstelle. Die Grenzen der einzelnen Störungsformen sind oft fließend, die Anzeichen ähnlich. Eine neue Leitlinie und ein Suchtforschungsprojekt unterstützen Ärzte bei der Behandlung, indem sie im ersten Schritt die Nutzungsstörungen einordnen.
Wie sehr die Nutzung des Internets inzwischen den Alltag vieler Menschen bestimmt, zeigt eine Erhebung der europäischen Statistikbehörde „Eurostat“. Demnach haben 2024 88 Prozent der Menschen in Deutschland täglich das Internet genutzt – 2014 waren es noch 72 Prozent, während im Jahr 2004 weniger als ein Drittel (30 %) davon Gebrauch gemacht hat.
Verschiedene Funktionen wie zum Beispiel Online-Banking, Online-Shopping oder Online-Terminbuchungen sind besonders praktisch und komfortabel und für viele eine Erleichterung. In der Medizin können E-Health-Anwendungen sogar gesundheitsförderlich sein, wie eine Studie erforscht hat (vgl. Hennemann et al., 2017). Auf der anderen Seite können die vielfältigen Nutzungsformen des Internets auch süchtig machen.
Sogenannte Internetnutzungsstörungen werden seit Mitte der 1990er-Jahre in der Forschung untersucht und durch Begriffe wie „Internetsucht“, „pathologische Internetnutzung“ sowie „kompulsive Internetnutzung“ beschrieben. Allerdings gibt es Kritik an den Bezeichnungen, da sie teilweise suggerieren, das Medium an sich sei problematisch, nicht dessen exzessive Nutzung.
Diese Kontroverse greift auch die neue S1-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie von Internetnutzungsstörungen auf, welche die Deutsche Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie e.V. federführend verfasst hat. Die Leitlinie richtet sich unter anderem an Behandelnde aus der ambulanten und stationären Therapie sowie aus der Suchtmedizin, aber auch an Behandelnde der primärärztlichen Versorgung.
Demnach stellt der Begriff „Internetnutzungsstörungen“ einen Oberbegriff für verschiedene Formen einer suchtartigen Nutzung von Internetapplikationen dar. Sie lassen sich anhand einer Tabelle und der ICD-Kodierung genauer unterteilen (vgl. Rumpf et al., 2021 – siehe auch Tabelle).
Folgende Formen der INS treten dabei auf:
Computerspielstörung
Soziale-Netzwerke-Nutzungsstörung
Pornografie-Nutzungsstörung
Shoppingstörung (vorwiegend online)
In der Klassifikation nach Rumpf et al. taucht auch die Glücksspielstörung als Unterpunkt auf. Die S1-Leitlinie klammert diese Form der INS aus, da Glücksspielstörung im Vergleich zu den oben genannten Kategorien bereits deutlich besser erforscht ist. Dadurch wäre deren Evidenz in einer gesonderten Leitlinie besser abgebildet, so die Leitlinien-Autoren.
Bezeichnungen für Online-Verhaltenssüchte (aus Rumpf et al., 2021)
Störung | Abkürzung | ICD-11-Kodierung |
Computerspielstörung (vorwiegend online) | CSS-on | 6C51.0 (Gaming Disorder predominantly online) |
Soziale-Netzwerke-Nutzungsstörung | SNS | 6C5Y (Other Specified Disorders due to Addictive Behaviours) |
Shoppingstörung (vorwiegend online) | ShS-on | 6C5Y (Other Specified Disorders due to Addictive Behaviours) |
Pornografie-Nutzungsstörung | PNS | 6C5Y (Other Specified Disorders due to Addictive Behaviours) |
Unspezifische Verhaltenssucht (vorwiegend online) | UVS-on | 6C5Z (Disorders due to Addictive Behaviours, Unspecified) |
Mit internetbezogenen Nutzungsstörungen beschäftigt sich auch die Forschungsgruppe S:TEP (Substanzbezogene und verwandte Störungen: Therapie, Epidemiologie und Prävention) der Universität zu Lübeck. Sie gibt auf ihrer Internetseite http://www.dia-net.com/ einen ersten Überblick über wesentliche Merkmale der verschiedenen Verhaltenssüchte:
Computerspielstörung
Bei einer Computerspielstörung (CSS) geben Betroffene dem Spielen so viel Raum, dass es ihr Leben negativ beeinflusst. Es kann dazu führen, dass sie sich sozial isolieren, andere Tätigkeiten vernachlässigen und zunehmend gereizt reagieren, wenn das Spielen gestoppt wird. Im Gegensatz zu den anderen Internetnutzungsstörungen der S1-Leitlinie ist die CSS eine von der WHO anerkannte eigenständige Erkrankung (ICD-11-Kode: 6C51).
Der Name des Krankheitsbildes bezieht sich dabei nicht alleine auf Computerspiele, auch Spiele auf anderen Endgeräten, wie zum Beispiel Konsolen oder Smartphones, bezieht die Diagnose mit ein. Als besonders gefährdet für diese Form der INS gelten Kinder und Jugendliche. Ein Forschungsbericht der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung vom Dezember 2020 geht davon aus, dass 8,4 Prozent der Jugendlichen (12 bis 17 Jahre) sowie 5,5 Prozent der jungen Erwachsenen (18 bis 25 Jahre)die Kriterien einer computerspiel- oder internetbezogenen Störung erfüllten. In einer Studie im Auftrag der DAK-Gesundheit liegt die Prävalenz in der Altersgruppe der 10- bis 17-Jährigen bei 6,3 Prozent.
Soziale-Netzwerke-Nutzungsstörung
Exzessiver Konsum von sozialen Netzwerken wie Instagram oder TikTok kann sich ebenfalls, ähnlich wie bei einer Computerspielstörung, negativ auf das eigene Leben auswirken. Hier spielen zudem bestimmte Risikofaktoren eine Rolle, die eine pathologische Nutzung sozialer Netzwerke begünstigen können: Wenn Social Media etwa als einzige Strategie dient, um mit negativer Stimmung umzugehen (vgl. Luo et al., 2021).
Ein Risiko für Internetsucht generell und damit auch für die exzessive Nutzung von Social Media haben Personen mit einem hohen Grad an Neurotizismus (vgl. de Hesselle, 2021), wenn diese eher ängstlich sind oder zu depressiven Verstimmungen neigen. Unrealistische Darstellungen auf den Plattformen können zudem zu einem Risiko für die psychische Gesundheit werden, wie aus verschiedenen Studien hervorgeht (vgl. Clark et al., 2018). Wer an einer Soziale-Netzwerke-Nutzungsstörung leidet, ist mitunter auch anfällig, an Nomophobie zu leiden (siehe Infokasten).
Shoppingstörung
Früher als „Kaufsucht“ bezeichnet, ist die Shoppingstörung ein bereits länger auftretendes Phänomen, das sich laut S:TEP inzwischen mehr und mehr in den digitalen Raum verlagert. Die Forschung ist sich noch uneins, ob sich die Online-Shopping-Störung (ShS) als Untertyp der generellen Shoppingstörung klassifizieren lässt oder ob sie eine eigene Diagnose darstellt (vgl. Müller et al., 2021).
Typische Anzeichen einer ShS sind, dass Betroffene nach dem exzessiven Einkaufen oft massive Schuldgefühle empfinden und den Kauf bedauern – sich aber im Moment des Einkaufens oft nicht selbst regulieren können, etwa aus Impulsivität, oder weil Betroffene unter einem niedrigen Selbstwertgefühl leiden (vgl. Müller et al., 2019; Rose & Dhandayudham, 2014). Studien gehen davon aus, dass hierzulande etwa fünf Prozent der Menschen eine ShS entwickeln.
Pornografie-Nutzungsstörung
Die vierte Form einer INS führt oft dazu, dass sich negative Auswirkungen auf das soziale, persönliche und psychologische Wohlbefinden bemerkbar machen, wie die Forschungsgruppe S:TEP schreibt. Zwanghafter Konsum von pornografischem Material, oft gepaart mit exzessiver Masturbation, löst bei Betroffenen häufig ein erhöhtes Scham- und Schuldgefühl aus (vgl. Duffy et al., 2016). Deswegen ist die Häufigkeit einer Pornografie-Nutzungsstörung (PNS) schwer zu erfassen.
In einer Online-Umfrage unter Männern zwischen 31 und 43 Jahren aus dem Jahr 2022 gaben 72 Prozent an, regelmäßig pornografische Inhalte zu konsumieren – fast sechs Prozent der Befragten erfüllten die Kriterien für einen problematischen Pornografiekonsum (vgl. Mennig et al., 2022). Um die oben genannten Formen einer INS zu diagnostizieren, verweisen die S1-Leitlinie sowie die Forschungsgruppe S:TEP auf verschiedene Diagnose- und Screeningmodelle. Da bislang nur die Computerspielstörung eine eigenständige ICD-11-Kodierung hat, ist sie als einzige Störung Teil eines Diagnosekatalogs nach ICD-Kriterien. Die Leitlinie betont, dass auch sämtliche andere Formen einer Internetnutzungsstörung klinisch relevant sind und durch die Anwendung der Kriterien für die Computerspielstörung diagnostiziert werden sollen. Die genauen Diagnostik- und Behandlungsansätze erörtert der zweite Teil dieser Fortbildung.
Nomophobie
Die Angst, vom eigenen Smartphone getrennt zu sein
Nomophobie ist ein Kofferwort für „no mobile phone phobia“ und beschreibt eine neuartige Angststörung, die insbesondere als Folge einer übermäßigen Smartphone-Nutzung auftreten kann. Wie verbreitet diese Phobie in Deutschland ist, hat eine Studie an der PFH (Private Hochschule Göttingen) aus dem Jahr 2023 untersucht. Teilgenommen haben 807 freiwillige Probanden, das Durchschnittsalter lag bei 25 Jahren. Basis der Untersuchung ist der international anerkannte Nomophobia Questionnaire NMP-Q, den die Studienautoren angewandt haben. Der Fragebogen umfasst die Stärke von vier Dimensionen, die für einen Smartphone-Entzug von Bedeutung sind:
(1) Nicht kommunizieren können
(2) Verbindungsverlust
(3) Nicht auf Informationen zugreifen können
(4) Komfortverzicht
Diese Faktoren korrelieren laut PFH-Erhebung unterschiedlich stark mit Persönlichkeitsmerkmalen, wie Gewissenhaftigkeit, Offenheit oder Neurotizismus — aber auch mit Angst und Stress. Das Ergebnis der Studie: Fast die Hälfte der Befragten (49,4 %) wies ein mittleres Maß an Nomophobie auf, bei weiteren 4,1 Prozent wurde eine schwere Nomophobie festgestellt. Betroffene erleben in erster Linie einen Kontrollverlust über die Nutzung ihres Smartphones, auch die sogenannte Fear of Missing Out (FoMO) hängt eng damit zusammen. Es gibt außerdem Überschneidungen mit Formen einer INS, dennoch stellt die Nomophobie eine eigenständige Störung dar.
Teil 2: Diagnostik- und Therapieansätze für niedergelassene Ärztinnen und Ärzte
Ob sich bei Patienten bereits eine Internetnutzungsstörung manifestiert hat, lässt sich nicht immer auf den ersten Blick sagen. Abhilfe schaffen strukturierte Screening- und Interviewmethoden, die zur Diagnose führen und eine mehrstufige Therapie bewirken können.
Herr S. konsultiert seine Hausärztin, da sein Wohlbefinden in letzter Zeit gelitten hat. Er schläft schlecht, fühlt sich schnell gereizt und hat keine Lust mehr, wie früher ins Handballtraining zu gehen. Außerdem berichtet er davon, dass er sich oft mit seiner Freundin streitet. Als er in den Raum wirft, auch viel Zeit online zu verbringen, hakt die behandelnde Ärztin vorsichtig nach, da in ihr der Verdacht aufkommt, Herr S. könnte an einer Internetnutzungsstörung leiden: „Herr S., können Sie mir einen typischen Tagesablauf aus Ihrem Leben schildern?“ Herr S. beschreibt unter anderem nun, wie er häufig weit nach Mitternacht ins Bett geht, um am PC sein Lieblingscomputerspiel zu spielen. Daraufhin fragt seine Ärztin weiter nach: „Würden Sie sagen, dass die Internetnutzung einen Hauptinhalt Ihres Lebens darstellt?“
Dieser fiktive Fall zeigt, wie ein Behandlungsgespräch in der Arztpraxis aussehen könnte, wenn sich Patientinnen und Patienten mit Anzeichen einer Internetnutzungsstörung (INS) an ihren behandelnden Arzt wenden. Die Forschungsgruppe S:TEP (Substanzbezogene und verwandte Störungen: Therapie, Epidemiologie und Prävention) der Universität zu Lübeck listet auf ihrem Internetauftritt (Link siehe Übersicht unten) mögliche Folgen und Symptome auf, die auf eine INS deuten können. Dazu zählen einerseits körperliche Folgen wie Schlafprobleme, Kopf- und Rückenschmerzen und erhöhtes Stressniveau, andererseits auch psychische Auswirkungen wie eine verstärkte Reizbarkeit. Auch soziale Folgen (Probleme bei der Arbeit/in der Schule, Vereinsamung und Isolation) werden berücksichtigt.
Für niedergelassene Ärztinnen und Ärzte ist die Liste ein erster Anhaltspunkt, um eine mögliche INS zu erkennen. Denn auch wenn die körperlichen Folgen vielleicht nicht ausgeprägt sind, entsteht für Betroffene oft ein erheblicher Leidensdruck durch ihr exzessives Nutzungsverhalten. Darauf weist auch die S1-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie von Internetnutzungsstörungen hin, hier im Speziellen auf die diagnostischen Kriterien einer Computerspielstörung (CSS) in der ICD-11 der WHO („Gaming Disorder“). Zu den Kriterien zählen
verminderte Kontrolle über das Spielverhalten (Schwierigkeiten der Kontrolle darüber, wann, wie lange, wie intensiv und in welchem Kontext gespielt wird),
steigende Priorität des Spielens von Computerspielen und Vernachlässigung anderer Alltagsaktivitäten,
die Fortsetzung oder Eskalation des Computerspielens trotz des Erlebens negativer Konsequenzen, die direkt auf das Spielen zurückgeführt werden können (zum Beispiel Verschlechterung schulischer oder beruflicher Leistungen, soziale Konflikte).
Dazu ergänzend umfasst das Diagnosesystem DSM-5 der „American Psychiatric Association“ aus dem Jahr 2013 weitere Kriterien wie Entzugserscheinungen, Toleranzentwicklung, erfolgloses Reduzieren des eigenen Spielverhaltens oder das Spielen als Flucht vor negativen Gefühlen wie Schuldgefühle oder Hoffnungslosigkeit. Die Leitlinie betont, dass auch die anderen Formen einer Internetnutzungsstörung (Soziale-Netzwerke-Nutzungsstörung, Pornografie-Nutzungsstörung, Online-Shoppingstörung) Parallelen mit der CSS aufweisen, weshalb sich die diagnostischen Kriterien auch auf die anderen Störungen anwenden lassen.
Fragebögen können den Grad einer INS ermitteln
Um eine INS diagnostisch einzugrenzen, empfehlen die Leitlinienautoren und die Forschungsgruppe S:TEP verschiedene Skalen, die sich aus ihrer Sicht zum Screening eignen. Für Internetnutzungsstörungen im Allgemeinen existiert beispielsweise die Compulsive Internet Use Scale (CIUS), die anhand eines Fragebogens das Nutzungsverhalten auf einer Skala von 0 (nie) bis 4 (sehr häufig) bewertet. Ähnlich funktionieren auch die anderen Skalen, die auf die spezifischen Störungen eingehen.
Für die Computerspielstörung liegen die Internet Gaming Disorder Scale-Short-Form (IGDS9-SF) und der Gaming Disorder Test (GDT) vor. Die Soziale-Netzwerke-Nutzungsstörung lässt sich laut der S1-Leitlinie am besten anhand der Social Media Disorder Scale (SMDS) oder der Social Media Use Disorder Scale (SOMEDIS – für junge Betroffene) feststellen. Im Bereich der Shoppingstörung gibt es unter anderem den Pathological Buying Screener (PBS), während die Pornografie-Nutzungsstörung dem Problematic Pornography Consumption Scale (PPCS-6) zugrunde liegt.
Für eine gesicherte Diagnose reichen die angesprochenen Fragebogenverfahren jedoch nicht aus. An die Anwendung eines solchen Verfahrens muss sich in der klinischen Praxis immer noch die Verwendung eines Verfahrens (in der Regel ein klinisches Interview) anschließen, mit dem sich die Diagnose gegebenenfalls bestätigen lässt, so die Autoren der Leitlinie.
Eine geeignete Anwendung ist demnach das Strukturierte Klinische Interview zu Internetbezogenen Störungen (AICA-SKI:IBS; vgl. Müller & Wölfling, 2017). Hierbei handelt es sich um ein halb standardisiertes strukturiertes Interview, das eine Weiterentwicklung der Checkliste zum Online-Suchtverhalten (AICA-C) darstellt. Im eingangs erwähnten fiktiven Fall des Patienten Herrn S. sind zwei Fragen nach dem AICA-SKI:IBS-Muster gestellt worden. Eine weitere Fragestellung könnte demnach zum Beispiel lauten: „Haben Sie in der Vergangenheit versucht, Ihr Nutzungsverhalten zu reduzieren oder auch ganz auszusetzen?“ Auch das von S:TEP entwickelte Interviewverfahren Internet Use Disorders – Criteria-based Assessment Tool (I-CAT) wird empfohlen. Mit dem Interview lässt sich die Anzahl der erfüllten DSM-5-Kriterien von Internetnutzungsstörungen allgemein erfassen. Das Verfahren existiert derzeit als computergestütztes Online-Interview und nimmt etwa 20 Minuten in Anspruch, um ausgefüllt zu werden.
Andere Therapiebedürfnisse für Kinder und Jugendliche
Die Behandlungsansätze bei internetbezogenen Störungen sehen eine Kombination aus kognitiv-verhaltenstherapeutischen Maßnahmen, Frühintervention und medikamentöser Behandlung vor. Ein Baustein aus therapeutischer Sicht ist das sogenannte Motivational Interviewing. S:TEP definiert dieses Modell als personenzentrierten und zielorientierten Kommunikationsstil mit Fokus auf Veränderungsäußerungen. Es setzt sich zum Ziel, die persönliche Motivation und Selbstverpflichtung zur Verhaltensänderung zu erhöhen. Möglich soll dies eine Atmosphäre der Akzeptanz und Anteilnahme machen. Die Grundhaltung des Motivational Interviewing besteht aus vier Elementen:
partnership – eine partnerschaftliche, nicht bevormundende Zusammenarbeit
acceptance – eine akzeptierende Grundhaltung entwickeln
compassion – Anteilnahme zeigen
evocation – Hervorrufen der Änderungsmotivation
Mit diesem Ansatz können Hausärztinnen und -ärzte als erste Ansprechpartner schon viel bewirken. Sie bauen damit eine Beziehung zu Betroffenen auf, die unter Umständen aus einem Gefühl der Isolation oder großer Scham (besonders bei Pornografie-Nutzungsstörung und Online-Shoppingstörung) ihr exzessives Verhalten an Behandelnde adressieren. Die Frühintervention zielt darauf ab, dass eine sich andeutende problematische Online-Nutzungsstörung durch Aufklärung und weitere spezifische Maßnahmen eindämmen lässt.
Insbesondere bei Kindern und Jugendlichen ist hier eine enge Betreuung durch Eltern erforderlich, auch Kinderärztinnen und -ärzte sind eine wichtige Anlaufstelle. Für sie ist diesbezüglich die S2k-Leitlinie zur Prävention dysregulierten Bildschirmmediengebrauchs in Kindheit und Jugend ein wichtiges Nachschlagewerk, das die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e. V. in Zusammenarbeit mit diversen anderen Fachgruppen (darunter der Deutschen Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie e. V.) verfasst hat. Sie soll insbesondere für den kritischen Umgang mit Bildschirmmedien sensibilisieren und gibt dafür verschiedene Richtwerte und Empfehlungen vor.
So sollen Eltern ihre Kinder unter drei Jahren von jeglicher passiven und aktiven Nutzung von Bildschirmmedien fernhalten. Erst ab dem Alter von drei bis sechs Jahren können Kinder laut der S2k-Leitlinie behutsam an die Bildschirmnutzung herangeführt werden, in dieser Altersspanne dann maximal 30 Minuten unter Beaufsichtigung. Im weiteren Verlauf der kindlichen Entwicklung, vor allem ab dem zwölften Lebensjahr, sei es dann entscheidend, die Nutzung gemeinsam zu begleiten und zu hinterfragen, so die Autoren.
Eine Frühintervention ist bei Kindern und Jugendlichen auch entscheidend, um langfristige gesundheitliche Folgen abzuwenden. Dazu zählt die S2k-Leitlinie unter anderem Übergewicht, Entwicklungsstörungen in der Fein- und Grobmotorik sowie Verhaltensstörungen (siehe dazu auch Infokasten unten). In den vergangenen Jahren haben Studien auch den Einsatz sogenannter E-Health-Interventionen erforscht, um verschiedene Formen der INS im besten Falle präventiv zu behandeln. Das können onlinegestützte Therapieprogramme oder VR-basierte (Virtual Reality) Interventionen sein. Allerdings weist die S1-Leitlinie zu Internetnutzungsstörungen darauf hin, dass die Evidenzlage bei E-Health-Angeboten bislang eingeschränkt ist und sich eher an junge Erwachsene ab 18 Jahren richtet.
Körperdysmorphe Störung
Eine mögliche Folgeerscheinung übermäßiger Internetnutzung
Betroffene einer körperdysmorphen Störung sind der Meinung, an sich mindestens einen körperlichen Fehler oder Makel zu erkennen, obwohl er in Wirklichkeit nicht oder kaum vorhanden ist. Sie bilden sich beispielsweise ein, an Haarausfall, Akne oder zu viel Körperbehaarung zu leiden, oder empfinden bestimmte Körperteile als entweder zu groß oder zu klein. Es entsteht dadurch oft ein Zwang, den wahrgenommenen Makel durch kosmetische Eingriffe zu verschleiern. Eine vermehrte Nutzung von Social-Media-Plattformen und deren Filtern kann dazu führen, dass Jugendliche und Heranwachsende sich in ihrem Schönheitsideal leicht beeinflussen lassen und dadurch verstärkt Eingriffe an sich vornehmen. Die Social-Media-Filter stehen damit im Verdacht, eine körperdysmorphe Störung bei jüngeren Personen zu begünstigen.
Hilfsangebote im Internet bei INS
www.dia-net.com
(Internetauftritt der Forschungsgruppe S:TEP, Universität zu Lübeck)erstehilfe-internetsucht.de
(Online-Datenbank für Hilfsangebote bei Internetsucht in Deutschland)www.ins-netz-gehen.info
(Informationsportal der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zur exzessiven Mediennutzung bei Jugendlichen)ompris.de
(Onlinebasiertes Motivationsprogramm zur Reduktion des problematischen Medienkonsums und Förderung der Veränderungsmotivation bei Menschen mit Computerspielabhängigkeit und Internetsucht)
A&W CME-Service – jetzt CME-Punkte sammeln
Die Fortbildung „Patienten mit Internetnutzungsstörungen behandeln“ ist mit zwei CME-Punkten zertifiziert. Um die CME-Punkte zu erhalten, müssen Sie noch den entsprechenden Wissenstest auf der Online-Fortbildungsplattform MedLearning absolvieren:
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