Gesundheitsdaten-Infrastruktur: Viel Beifall für neues Forschungsdatenzentrum
Deborah WeinbuchSeit Oktober 2025 hat Deutschland erstmals eine zentrale Gesundheitsdaten-Infrastruktur. Millionen Abrechnungsdaten sollen Erkenntnisse liefern. Sind Datenschutz und -qualität dem Anspruch gewachsen?
Mit dem neuen Forschungsdatenzentrum (FDZ) Gesundheit verfügt Deutschland erstmals über eine zentrale Infrastruktur für Gesundheitsdaten. Die Einrichtung am Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) bündelt Abrechnungs- und Diagnosedaten der gesetzlichen Krankenkassen und macht sie für wissenschaftliche Zwecke nutzbar – unter strengen Datenschutzauflagen. Rechtsgrundlage ist das Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG), das 2024 inkraft getreten ist. Gesundheitsministerin Nina Warken sprach bei der Eröffnung am 9. Oktober 2025 in Berlin von einem „Paradigmenwechsel für die Forschung“.
Daten können Leben retten – mit dem Forschungsdatenzentrum schaffen wir die zentrale Infrastruktur dafür.
Zentraler Zugang
Bisher lagen die Daten dezentral bei den Krankenkassen. Forschende mussten Einzelauswertungen beantragen, was oft mit langen Genehmigungsverfahren und uneinheitlichen Standards verbunden war. Übergreifende Auswertungen waren nur schwer möglich. Das FDZ bietet nun erstmals einen zentralen, standardisierten Zugang zu pseudonymisierten Krankenkassendaten aller 74 Millionen gesetzlich Versicherten.
„Daten können Leben retten“, betonte Warken, die sich zielgerichtetere Präventionsmaßnahmen und wirksamere Therapien verspricht. BfArM-Präsident Prof. Karl Broich sieht eine „einzigartige Chance, Krankheiten besser zu verstehen und die Arzneimittelentwicklung zu beschleunigen“. Der Datensatz umfasst 15 Jahre Krankenkassendaten von 2009 bis 2023, insgesamt rund acht Milliarden Datensätze pro Jahr. Er enthält Angaben zu Diagnosen, Therapien, Arzneimittelverordnungen und Krankenhausaufenthalten, aufgeschlüsselt nach Alter, Geschlecht und Region.
Die Versorgungsdaten eines Quartals liegen spätestens vier Monate nach Quartalsende im FDZ vor. Auf diese Weise soll das Gesundheitswesen schneller auf neue Anforderungen reagieren können. Ab 2026 sollen ePA-Daten hinzukommen, sofern die einzelnen Versicherten nicht widersprechen; perspektivisch auch Informationen aus den Krebsregistern. Krankenversichertennummern, Namen oder Anschriften der Versicherten werden nicht weitergeleitet. Die Daten werden durch eine Vertrauensstelle am Robert Koch-Institut (RKI) pseudonymisiert, bevor sie beim FDZ eingehen. Sie werden ausschließlich in zugangskontrollierten virtuellen Analyseräumen verarbeitet. Aufgrund der oft sehr großen Datenmengen ist der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) möglich, so der GKV-Spitzenverband.
Forschungsberechtigte
Zugang haben wissenschaftliche Einrichtungen, Universitätskliniken, Krankenkassen, Start-ups und Unternehmen, sofern ihre Forschung der Verbesserung der Versorgung dient. Reine Marktforschung sowie die Entwicklung schädlicher Produkte wie etwa alkoholischer Getränke oder Tabak sind ausgeschlossen. Anträge mit solchen Zielsetzungen werden abgelehnt. Täuschungsversuche führen zu einer Anzeige und strafrechtlichen Verfolgung. Um den Datenzugang zu erlangen, muss der Forschungszweck im Antrag klar definiert sein. Alle genehmigten Projekte werden in einem öffentlichen Register dokumentiert.
Erwartungen und Kritik
Das Forschungsdatenzentrum Gesundheit ist die Nachfolgeeinrichtung der Datenaufbereitungsstelle am ehemaligen Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI), das seit 2013 Abrechnungsdaten für Forschungszwecke bereitstellte. Nach Auflösung des DIMDI 2019 wurde das FDZ im Rahmen des Digitale-Versorgung-Gesetzes neu aufgebaut und hat dessen Aufgaben vollständig übernommen. Organisatorisch ist das FDZ beim BfArM angesiedelt, arbeitet jedoch eigenständig. Mit Blick auf das Interesse der Industrie wirkt die personelle Ausstattung des FDZ mit derzeit rund 20 Beschäftigten angesichts der potenziellen Antragsflut und Datenmenge knapp bemessen. Han Steutel, Präsident des Verbands der forschenden Pharma-Unternehmen in Deutschland (vfa), begrüßte, dass Deutschland nun endlich vom Planen ins Handeln komme. Gleichzeitig mahnte er an, dass das FDZ „bald mehr als nur Abrechnungsangaben enthalten“ müsse, um die personalisierte Medizin und neue Therapieansätze weiterzuentwickeln. Die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) äußerte sich begrüßend, aber auch kritisch. AWMF-Präsident Prof. Rolf-Detlef Treede betonte, dass die jetzt verfügbaren Abrechnungsdaten „kein präzises Bild des Gesundheitszustands von Patientinnen und Patienten“ liefern, da sie durch Abrechnungslogiken verzerrt sind. Für belastbare Forschungsergebnisse seien weitere klinische Patientendaten erforderlich, etwa aus Registern oder der elektronischen Patientenakte, standardisiert nach internationalen Kodiersystemen wie den WHO-Klassifikationen.
Neue Datentiefe für die Versorgung
Das FDZ Gesundheit ermöglicht erstmals bundesweite, sektorübergreifende und langfristige Analysen auf Basis von rund 90 Prozent der Bevölkerung – eine solide Grundlage für präzisere und umfassendere Versorgungsforschung. Mit der Bündelung von 15 Jahren Versorgungsdaten entsteht die Möglichkeit groß angelegter Analysen. Ob sich die hohen Erwartungen in der Praxis erfüllen, wird sich zeigen.
Finanziert durch die gesetzlichen Kassen
Der Aufbau des FDZ Gesundheit wurde beinahe vollständig von den Beitragsmitteln der gesetzlich Versicherten finanziert. Auch der laufende Betrieb soll auf diese Weise getragen werden. Die GKV schafft damit nicht nur eine Infrastruktur für externe Forschung, sondern auch ein Instrument zur eigenen Versorgungssteuerung. Geplant ist, die Daten zu nutzen, um Unter-, Über- und Fehlversorgung zu analysieren sowie Präventions- und Disease-Management-Programme weiterzuentwickeln. Für versicherungsbezogene Entscheidungen dürfen die Daten jedoch nicht verwendet werden. Insbesondere ist die Benachteiligung von Personen ausgeschlossen.