Ärztliche Aufklärung: Gericht entscheidet zugunsten des Arztes
Judith MeisterDie Rechtsprechung verlangt eine verständliche und individuelle Aufklärung - aber nicht jedes noch so kleine Risiko muss benannt werden. Ein aktuelles Urteil des OLG Bamberg zeigt, wo die Grenzen der Aufklärungspflicht liegen und was Ärztinnen und Ärzte in der Praxis beachten sollten.
Die rechtssichere Aufklärung von Patienten kann kompliziert sein. Die Formulierungen des entsprechenden §630e Aufklärungspflichten des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) sind wachsweich und verlangen, dass der Patient über „sämtliche für die Einwilligung wesentlichen Umstände“ aufzuklären ist (siehe Infobox unten). Doch welche Umstände sind im konkreten Fall wesentlich? Und wie individuell muss ein Arzt oder eine Ärztin die Aufklärung auf den Zustand des Einzelnen zuschneiden?
Ärztliche Aufklärung über Verlauf, Erfolgsaussichten, generelle Risiken und Behandlungsalternativen
Zu diesen Fragen hat die Rechtsprechung in den vergangenen Jahrzehnten unzählige Urteile gefällt. Hier den Überblick zu behalten, fällt sogar spezialisierten Juristen schwer. Es gibt aber eine Grundlinie, an der sich Ärztinnen und Ärzte in der täglichen Arbeit orientieren können. Sie besagt: Damit ein Patient wirksam in einen ärztlichen Heileingriff einwilligen kann, muss er über den Verlauf des Eingriffs, seine Erfolgsaussichten, seine Risiken und mögliche echte Behandlungsalternativen mit gleichwertigen Chancen „im Großen und Ganzen“ aufgeklärt sein.
Unnötig ist es daher, dem Patienten alle möglichen Risiken medizinisch exakt und in allen denkbaren Erscheinungsformen darzustellen. Es genügt, wenn er ein allgemeines Bild von der Schwere und Richtung des Risikospektrums erhält und der Arzt ihm die „Stoßrichtung“ der Risiken verdeutlicht. Auch hat die Rechtsprechung bereits entschieden, dass Ärzte mit Blick auf bestimmte Risiken keine Prozentangaben machen müssen (Urteil vom 11.10.2016, BGH, VI ZR 462/15).
Die Besonderheiten des Einzelfalls beim Aufklärungsgespräch
Neben diesen „generellen“ Risiken sind Patienten allerdings auch über die speziellen Gefahren aufzuklären, denen sie aufgrund ihrer persönlichen Konstitution oder Krankheitsgeschichte ausgesetzt sein können. Die Aufklärung über ein und denselben Eingriff wird also bei einem betagten, multimorbiden Patienten anders ausfallen als bei einem 20-jährigen Leistungssportler.
Entsprechend verlangt die Rechtsprechung von Ärzten auch eine sogenannte zweistufige Aufklärung. Im ersten Schritt ist der Patient über die generellen Risiken der Behandlung zu informieren. Im zweiten Schritt erfolgt dann das persönliche Aufklärungsgespräch. Grundsätzlich ist es für Ärztinnen und Ärzte ratsam, das Gespräch sorgfältig zu dokumentieren, um im Streitfall beweisen zu können, dass die Aufklärung korrekt erfolgte. Kommen – wie so oft – vorgefertigte Formulare zum Einsatz, empfehlen sich persönliche und vom Patienten gegengezeichnete Ergänzungen, um den Umfang der Aufklärung zu belegen.
Aktueller Fall aus der Rechtsprechung zur Aufklärung eines Patienten
Wie schwierig es sein kann, auf der persönlichen Stufe das richtige Maß zu finden, beweist (einmal mehr) der Fall eines vorerkrankten Patienten, über den vor Kurzem das Oberlandesgericht Bamberg zu entscheiden hatte.
Der Patient war wegen eines fortgeschrittenen Morbus Dupuytren und erheblicher Beugekontraktionen an der linken Hand in ärztlicher Behandlung. Am Ende wurde diese Hand operiert. Das Vorgehen war für den Patienten an sich nicht neu: Er hatte sich zuvor erfolgreich verdickte Bindegewebestränge an der rechten Hand entfernen lassen. Vor diesem Hintergrund riet ihm der Arzt zu einem ähnlichen Vorgehen an der zweiten Hand und klärte den Patienten über die Risiken des Eingriffs auf.
Die Operation der zweiten Hand verlief allerdings weniger gut als die der ersten. Insbesondere litt der Patient im Nachgang an Wundheilungsstörungen und Nekrosen. Auch mehrere Folgeeingriffe konnten nicht verhindern, dass ihm der kleine Finger der linken Hand amputiert werden musste.
Der Patient klagte daraufhin auf Schadenersatz und Schmerzensgeld. Dabei argumentierte er unter anderem, vor der zweiten Operation nicht ordnungsgemäß über die Risiken des Eingriffs aufgeklärt worden zu sein: Da bei seiner rechten Hand (anders als bei der linken) bereits eine hochgradige Beugekontraktur vorgelegen habe, seien Komplikationen nach dem Eingriff wahrscheinlicher gewesen und die Erfolgsaussichten hätten insgesamt niedriger gelegen. Vor diesem Hintergrund hätte eine spezielle Aufklärungspflicht mit Blick auf die erhöhten Risiken bestanden.
OLG Bamberg entscheidet zugunsten des Arztes
Das Oberlandesgericht (OLG) Bamberg folgte diesem Vortrag nicht und entschied zugunsten des Arztes. Der Chirurg habe seinen Patienten ausreichend auf die möglichen Risiken hingewiesen. Insbesondere habe er auch die Gefahr einer Amputation und die Möglichkeit der Verschlechterung des Beschwerdebilds erwähnt. Ein gesonderter Hinweis auf möglicherweise geringere Erfolgsaussichten wegen der bestehenden hochgradigen Beugekontraktur sei hingegen nicht erforderlich gewesen (Urteil vom 21.10.2024, Az. 4 U 4/24 e).
In diesem Zusammenhang betonte das Gericht: Es sei zwar anerkannt, dass die Aufklärung umfassender sein müsse, wenn ein Eingriff aufgrund einer besonderen Befindlichkeit des Patienten erhöhte Risiken birgt. Dies betreffe aber nur solche Risiken, die ihre Ursache in einer vom konkreten Beschwerdebild unabhängigen Verfassung des Patienten haben. Vorliegend sei das aber gerade nicht der Fall gewesen. Das erhöhte Komplikationsrisiko habe hier nicht aufgrund einer besonderen Disposition des Patienten bestanden, sondern lediglich im Vergleich mit anderen graduellen Ausprägungen der Erkrankung. In solchen Fällen könne man von einem Arzt nicht erwarten, dass er entsprechende Risikovergleiche zieht, durch die der Patient im Ergebnis auch keinen erhöhten Erkenntnisgewinn erzielt (vgl. hierzu auch BGH, Urteil vom 16.8.2022, Az. VI ZR 342/21).
Im Bürgerlichen Gesetzbuch sind die Aufklärungspflichten verankert
Die gesetzlichen Vorgaben aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) § 630e Aufklärungspflichten besagen:
(1) Der Behandelnde ist verpflichtet, den Patienten über sämtliche für die Einwilligung wesentlichen Umstände aufzuklären. Dazu gehören insbesondere Art, Umfang, Durchführung, zu erwartende Folgen und Risiken der Maßnahme sowie ihre Notwendigkeit, Dringlichkeit, Eignung und Erfolgsaussichten im Hinblick auf die Diagnose oder die Therapie. Bei der Aufklärung ist auch auf Alternativen zur Maßnahme hinzuweisen, wenn mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Methoden zu wesentlich unterschiedlichen Belastungen, Risiken oder Heilungschancen führen können.
(2) Die Aufklärung muss
1. mündlich durch den Behandelnden oder durch eine Person erfolgen, die über die zur Durchführung der Maßnahme notwendige Ausbildung verfügt; ergänzend kann auch auf Unterlagen Bezug genommen werden, die der Patient in Textform erhält,
2. so rechtzeitig erfolgen, dass der Patient seine Entscheidung über die Einwilligung wohlüberlegt treffen kann,
3. für den Patienten verständlich sein.
Dem Patienten sind Abschriften von Unterlagen, die er im Zusammenhang mit der Aufklärung oder Einwilligung unterzeichnet hat, auszuhändigen.(3) Der Aufklärung des Patienten bedarf es nicht, soweit diese ausnahmsweise aufgrund besonderer Umstände entbehrlich ist, insbesondere wenn die Maßnahme unaufschiebbar ist oder der Patient auf die Aufklärung ausdrücklich verzichtet hat.
(4) Ist nach § 630d Absatz 1 Satz 2 die Einwilligung eines hierzu Berechtigten einzuholen, ist dieser nach Maßgabe der Absätze 1 bis 3 aufzuklären.
(5) Im Fall des § 630d Absatz 1 Satz 2 sind die wesentlichen Umstände nach Absatz 1 auch dem Patienten entsprechend seinem Verständnis zu erläutern, soweit dieser aufgrund seines Entwicklungsstandes und seiner Verständnismöglichkeiten in der Lage ist, die Erläuterung aufzunehmen, und soweit dies seinem Wohl nicht zuwiderläuft. Absatz 3 gilt entsprechend.