Verdeckte Gemeinschaftspraxis – kostspieliger Missbrauch der Praxisform
Judith MeisterWer offiziell in einer Praxisgemeinschaft arbeitet, tatsächlich aber eine Gemeinschaftspraxis betreibt, muss im Fall einer Überprüfung durch die KV mit erheblichen Honorarrückforderungen rechnen.
Die Zusammenarbeit mit einem oder mehreren Kollegen bietet niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten etliche Vorteile. Bei der Wahl des Kooperationspartners sollten sie allerdings ebenso akribisch vorgehen wie bei der rechtlichen Ausgestaltung des Zusammenschlusses. Denn wer auf dem Papier eine Praxisgemeinschaft gründet, tatsächlich aber eine Gemeinschaftspraxis betreibt, muss mit erheblichen juristischen und finanziellen Ärgernissen rechnen. Das belegt ein aktuelles Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Berlin-Brandenburg (Urteil vom 18.09.2024, Az. L 7 KA 4/23).
Drastische Honorarrückforderung nach Prüfung durch die KV
Im konkreten Fall stritten zwei Fachärzte für Unfallchirurgie und Orthopädie mit ihrer Kassenärztlichen Vereinigung (KV) um die Rechtmäßigkeit einer Honorarrückforderung in Höhe von 90.000 Euro. Diese fußte auf dem Ergebnis einer Plausibilitätsprüfung. Danach hatten die beiden Fachärzte in ihrer fachgruppengleichen Praxisgemeinschaft deutlich mehr als 20 Prozent der Patienten gemeinsam behandelt und in etlichen Fällen (Blanko-)Überweisungen an den Praxispartner ausgestellt – ohne Angabe eines konkreten Überweisungsgrundes. Auch zeigte die Prüfung, dass die Versichertenkarten der Patienten regelmäßig zeitgleich bei beiden Partnern eingelesen wurden und sich die beiden Ärzte „auf Zuruf“ vertraten.
Unnötige Doppelabrechnungen: Missbrauch der Praxisgemeinschaft
Diese Arbeitsweise sah das LSG als Missbrauch der Gestaltungsform der Praxisgemeinschaft an: Die beiden Kollegen hätten tatsächlich eine Gemeinschaftspraxis betrieben. Da ein solches Vorgehen unnötige Doppelbehandlungen und künstliche Fallzahlvermehrungen zulasten der Kassen bewirkt, zieht es regelmäßig beträchtliche Honorarrückforderungen nach sich. So auch im konkreten Fall, in dem das Gericht die Auffassung der KV bestätigte.
In seiner Entscheidung arbeitete das LSG noch einmal die Kriterien heraus, nach denen ein solcher Missbrauch zu bejahen ist.
Verdeckte Gemeinschaftspraxis
Ärzte desselben Fachgebiets arbeiten nur scheinbar in einer Praxisgemeinschaft (und tatsächlich in einer verdeckten Gemeinschaftspraxis), wenn folgende Punkte zu bejahen sind:
Die Zahl der in beiden Praxen der Praxisgemeinschaft behandelten Patienten übersteigt die 20-Prozent-Marke deutlich.
Die Versichertenkarten werden regelmäßig bei beiden Ärzten am selben Tag eingelesen (im entschiedenen Fall geschah dies in 71 % der Fälle).
Die Kollegen schicken ihre Patienten mit Blanko-Überweisungen hin und her.
Der von den Ärzten behauptete Überweisungsgrund lässt sich bei der Überprüfung von Einzelfällen durch die KV nicht bestätigen.
Die Kollegen vertreten sich auf bloßen Zuruf.
Da im vorliegenden Fall all diese Kriterien erfüllt waren, durfte die KV wegen Doppelbehandlungen rund 90.000 Euro von der verdeckten Gemeinschaftspraxis zurückfordern.
Faustregel: 20-Prozent-Marke gemeinsamer Patienten
Für einen Missbrauch der Kooperationsform der Praxisgemeinschaft spricht schon, wenn das Aufgreifkriterium von 20 Prozent gemeinsamer Patienten in mehreren Quartalen überschritten wird.