Bertelsmann-Studie: Wie sinnvoll ist die Forderung nach Krankenhaus-Schließungen?
A&W RedaktionEine neue Bertelsmann-Studie empfiehlt, die Hälfte aller Kliniken zu schließen. Denn große Kliniken würden eine bessere Versorgung bieten. Doch einige Gründe sprechen durchaus für kleinere Krankenhäuser.
Gesetzlich Krankenversicherte dürfen grundsätzlich selbst entscheiden, in welches Krankenhaus sie gehen. In Notfällen gilt das ohnehin, aber auch bei geplanten Eingriffen oder Behandlungen. Voraussetzung für eine Kostenübernahme durch die Krankenkasse ist lediglich, dass es sich um ein zugelassenes Krankenhaus handelt. Nach Angaben des Bundesministeriums für Gesundheit sind das alle Hochschulkliniken, alle Kliniken im Krankenhausplan eines Landes und alle Häuser, mit denen die Krankenkassen einen Versorgungsplan abgeschlossen haben. Erfüllt eine Privatklinik keine dieser Voraussetzungen, dürfen sich gesetzlich Versicherte hier nur im Notfall behandeln lassen.
Vorschlag der Bertelsmann-Studie
Laut der aktuellen Bertelsmann-Studie, die gerade hohe Wellen schlägt, sollte mehr als jedes zweite Krankenhaus in Deutschland geschlossen werden. Damit würde man die Qualität der Versorgung der Patienten verbessern und bestehende Engpässe bei Ärzten und Pflegepersonal mildern, behaupten jedenfalls die Autoren.
Von den derzeit knapp 1.400 Krankenhäusern sollten nur deutlich weniger als 600 größere und bessere Kliniken erhalten bleiben, heißt es in der Untersuchung der Bertelsmann Stiftung. Sie könnten dann mehr Personal und eine bessere Ausstattung erhalten.
«Nur Kliniken mit größeren Fachabteilungen und mehr Patienten haben genügend Erfahrung für eine sichere Behandlung», begründen die Autoren der Studie die Empfehlung. Viele Komplikationen und Todesfälle ließen sich demnach durch eine Bündelung von Ärzten und Pflegepersonal sowie Geräten in weniger Krankenhäusern vermeiden. Kleine Kliniken verfügten dagegen häufig nicht über die nötige Ausstattung und Erfahrung, um lebensbedrohliche Notfälle wie einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall angemessen behandeln zu können.
Nur in ausreichend großen Kliniken könnten Facharztstellen rund um die Uhr besetzt werden. Auch Computertomographen und andere wichtige Geräte könnten dann in allen Kliniken bereit stehen. Vor allem die Qualität der Notfallversorgung und von planbaren Operationen lasse sich so verbessern. Auch der Mangel an Pflegekräften könne so gemindert werden. «Es gibt zu wenig medizinisches Personal, um die Klinikzahl aufrecht zu erhalten», schreibt Bertelsmann-Projektleiter Jan Böcken.
Schnell erreichbare Versorgung?
Über eine Verringerung der Zahl der Krankenhäuser wird in Deutschland seit langem diskutiert. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte kürzlich betont: «Ein Krankenhaus vor Ort ist für viele Bürger ein Stück Heimat.» Gerade in gesundheitlichen Notlagen brauche es eine schnell erreichbare Versorgung. Krankenhäuser in ländlichen Regionen erhalten von den Krankenkassen künftig extra Geld. Vorgesehen sind im nächsten Jahr Finanzspritzen für 120 Kliniken von jeweils 400.000 Euro und damit insgesamt 48 Millionen Euro.
In der Bertelsmann-Studie heißt es dagegen, die schnelle Erreichbarkeit eines kleinen Krankenhauses sei nur ein vermeintlicher Vorteil. Wenn dort kein Facharzt verfügbar sei, habe die Klinik einen gravierenden Qualitätsnachteil. Eine Fallstudie für die Region Köln/Leverkusen und den angrenzenden ländlichen Raum habe gezeigt, dass Patienten dort bei einer Verringerung der Zahl der Kliniken von 38 auf 14 im Durchschnitt keine viel längeren Fahrzeiten in Kauf nehmen müssten.
Kliniken schreiben rote Zahlen
Die finanzielle Lage vieler Krankenhäuser in Deutschland ist auf jeden Fall prekär. Nach jüngsten Zahlen der Deutschen Krankenhausgesellschaft hat jede dritte Klinik 2017 rote Zahlen geschrieben. Die sogenannten Rationalisierungsreserven seien mittlerweile ausgeschöpft, hatte die Krankenhausgesellschaft erklärt.
Die Autoren der Bertelsmann-Studie schlagen einen zweistufigen Aufbau einer neuen Krankenhausstruktur vor. Neben Versorgungskrankenhäusern mit durchschnittlich gut 600 Betten soll es etwa 50 Unikliniken und andere Maximalversorger mit im Schnitt 1.300 Betten geben. Aktuell hat ein Drittel der deutschen Krankenhäuser weniger als 100 Betten. Die Durchschnittsgröße der Kliniken liege bei unter 300 Betten.
Nach Ansicht der Wissenschaftler kommen in Deutschland zu viele Menschen ins Krankenhaus. Etwa fünf Millionen Patienten pro Jahr könnten genauso gut ambulant behandelt oder operiert werden. Die Zahl der Krankenhausfälle ließe sich so bis 2030 auf 14 Millionen in Jahr senken. Die Forscher verwiesen darauf, dass die Zahl der sogenannten Bettentage pro Einwohner in Deutschland um 70 Prozent über dem Durchschnitt der vergleichbaren EU-Länder liege.
Krankenhausgesellschaft spricht sich für Wohnortnähe aus
Solche Vorschläge sind allerdings das exakte Gegenteil dessen, was die Kommission «Gleichwertige Lebensverhältnisse» für die ländlichen Räume gefordert habe. Die Krankenhausgesellschaft widerspricht der Einschätzung der Studie, wonach durch ein Zusammenziehen von Kliniken und eine Bündelung von Ärzten, Pflegepersonal und medizinischen Geräten eine qualitativ bessere Versorgung erreicht werden könnte. Diese Einschätzung sei «absolut unbelegt».
Die Qualität der Versorgung in den Kliniken werde seit Jahren gemessen und mit wenigen Ausnahmen werde jedes Jahr allen beteiligten Kliniken ein hohes Niveau bestätigt.
Bei einem Großteil der Versorgung in den Krankenhäusern handele es sich zudem um medizinische Grundversorgung, wie Geburten oder altersbedingte Krankheitsbilder der Inneren Medizin. «Das sind Behandlungen, die möglichst familien- und wohnortnah in erreichbaren
Krankenhäusern auch in Zukunft erbracht werden müssen», forderte Gaß. (dpa/maf)