Berufskrankheit: Verdachtsfälle richtig melden
Heiko FeketeBei berufsbedingten Krankheiten können Ärztinnen und Ärzte durch Anamnese und Befunderhebung dafür sorgen, dass Betroffene ihren Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung geltend machen. Dazu ist es auch wichtig, die Vorgaben der Versicherungsträger genauer zu kennen.
Atemwegsbeschwerden, Hautveränderungen oder Schmerzen im Bewegungsapparat sind häufige Symptome, mit denen sich Patientinnen und Patienten in der Arztpraxis vorstellen. Sind die Symptome nicht akut und treten häufiger auf, lohnt es sich auch, nach dem beruflichen Hintergrund zu fragen. Denn in bestimmten Fällen können zum Beispiel Erkrankungen an den Bronchien oder der Lunge auf den Beruf zurückzuführen und folglich als Berufskrankheit definiert sein. Ab wann eine Krankheit im beruflichen Kontext tatsächlich als Berufskrankheit gilt, beschreibt das Siebte Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) zur gesetzlichen Unfallversicherung.
Diese neuen Berufskrankheiten sollten Ärzte kennen
Demnach muss die Erkrankung nach Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere arbeitsbedingte Einwirkungen verursacht werden. Und sie muss in der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) aufgeführt sein. Die aktuellste Fassung der BKV listet 85 anerkannte Berufskrankheiten auf. Häufig auftretende Berufskrankheiten sind die Lärmschwerhörigkeit bei Bau- und Forstarbeitern, berufsbedingte Hauterkrankungen oder Atemwegserkrankungen durch das Einatmen von Staub und chemischen Stoffen. Am 1. April 2025 sind drei neue Krankheitsbilder in die Liste aufgenommen worden:
Läsion der Rotatorenmanschette der Schulter durch langjährige, intensive Belastung
Gonarthrose bei professionellen Fußballspielern
Chronische obstruktive Bronchitis einschließlich Emphysem durch langjährige Quarzstaubexposition
Die neuen Berufskrankheiten folgen den Empfehlungen des Ärztlichen Sachverständigenbeirats Berufskrankheiten (ÄSVB) beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Der Prozess, um eine mögliche Berufskrankheit bei Patienten anzuerkennen, kann dabei oft langwierig sein. Hier kommen auch Ärztinnen und Ärzte ins Spiel.
Darum ist eine gründliche Dokumentation von Berufskrankheiten wichtig
Bei begründetem Verdacht auf Vorliegen einer berufsbedingten Krankheit melden sie den Verdacht an den zuständigen Unfallversicherungsträger (Lesen Sie hier, was Sie bei der Abrechnung zu beachten haben). In diesem ersten Schritt ist es besonders wichtig, die Entstehungsgeschichte der mutmaßlichen Berufskrankheit präzise zu erörtern. Folgende Fragen sollten für die Verdachtsmeldung unter anderem berücksichtigt werden:
Wie lange sind Sie in Ihrem derzeitigen Beruf tätig?
Seit wann tauchen die Beschwerden auf und wie äußern sie sich in Ihrem (Arbeits-)Alltag?
Haben Sie Kontakt zu gefährlichen Stoffen?
Die Angaben können betroffenen Patienten das weitere Verfahren erleichtern, insbesondere wenn es an die Erstellung des medizinischen Gutachtens geht. Für dieses ist der Unfallversicherungsträger laut § 200 SGB VII dazu angewiesen, mehrere Gutachter zur Auswahl zu nennen. Je genauer die zuvor getätigte ärztliche Ersteinschätzung ist, desto geringer ist auch die Gefahr, dass Verdachtsmeldung und Gutachten am Ende widersprüchliche Informationen enthalten.
Im weiteren Verlauf ist es Aufgabe der Berufsgenossenschaft, die Anerkennung der jeweiligen Berufskrankheit zu prüfen. Wird sie abgelehnt, können Betroffene innerhalb eines Monats widersprechen. Bei erfolgreicher Anerkennung übernimmt die gesetzliche Unfallversicherung beispielsweise alle notwendigen Leistungen, um die Erkrankung zu behandeln. Dazu zählen verordnete Arzneimittel, Rehabilitationsmaßnahmen oder auch Hilfsmittel.
Anerkennung einer Berufskrankheit landet vor Gericht
Darüber hinaus lassen sich auch andere Krankheiten als Berufskrankheit anerkennen, selbst wenn sie nicht in der BKV aufgelistet sind. Nach § 9 Abs. 2 SGB VII können bestimmte Erkrankungen im beruflichen Umfeld wie eine Berufskrankheit behandelt werden, wenn nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine solche Bezeichnung gegeben sind. Ein bekanntes Beispiel ist Long COVID als inzwischen geltende Berufskrankheit.
Diese Anerkennung ist primär für Beschäftigte im Gesundheitswesen und in der Wohlfahrtspflege vorgesehen. In Einzelfällen sind auch andere Tätigkeiten denkbar, wenn die Betroffenen sich einem erhöhten Ansteckungsrisiko ausgesetzt haben. Eine Anerkennung als Berufskrankheit setzt voraus, dass nach einer Infektion zumindest geringfügige klinische Krankheitssymptome auftreten. Treten erst später Gesundheitsschäden infolge der Infektion auf, kann eine Berufskrankheit ab diesem Zeitpunkt anerkannt werden.
Das unterstreicht auch ein Urteil vor dem Sozialgericht Heilbronn (12.12.2024, Az. S 2 U 426/24). Ein an COVID-19 erkrankter Krankenpfleger wurde durch Langzeitfolgen wie das Fatigue-Syndrom und eine schwere depressive Episode arbeitsunfähig, doch die Unfallkasse verweigerte zunächst die Zahlung einer Verletztenrente. Die dagegen gerichtete Klage hatte Erfolg: Die zuständige Unfallkasse muss eine Verletztenrente zahlen und zusätzlich feststellen, dass Langzeitfolgen einer COVID-19-Erkrankung wissenschaftlich belegte Folgen der anerkannten Berufskrankheit darstellen. Zudem konnte ein Sachverständiger den Fall vor Gericht überzeugend darlegen. Das zeigt, wie wichtig eine möglichst sorgfältige Dokumentation der Berufskrankheit für das weitere Verfahren ist.