Wirtschaftsnachrichten für Ärzte | ARZT & WIRTSCHAFT
Praxis
Inhaltsverzeichnis

Vor vier Jahren fiel der Startschuss für die Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA). Seitdem dümpeln die sogenannten Apps auf Rezept vor sich hin. Auch die überschaubaren Verordnungszahlen spiegeln das geringe Interesse von Patienten sowie Ärztinnen und Ärzten wider. Die Frage ist: Wie geht es mit den DiGA weiter? 

Zum vierjährigen Geburtstag widmete die BARMER in ihrem Arztreport 2024 den DiGA ein Special. Dafür blickte die Krankenkasse in ihre Abrechnungsdaten und befragte zusätzlich rund 1.700 Patienten sowie 1.000 Ärztinnen und Ärzte über ihre Erfahrungen mit den DiGA.

Neue Erkenntnisse über Verordnungszahlen

Im Startjahr gab es 437 DiGA-Verordnungen für die BARMER-Versicherten. Im folgenden Jahr waren es 11.547 und 2022 dann 24.159. Für 2023 eruierten die Statistiker 36.480 Verordnungen. Rechnet man diese Daten auf alle GKV-Versicherten in Deutschland hoch, erfolgten bis Ende 2023 insgesamt 600.000 DiGA-Verordnungen. Das zeigt: Die Zahlen steigen zwar grundsätzlich an, trotzdem bewegen sie sich auf einem niedrigen Niveau. Im Vergleich dazu werden pro Jahr zum Beispiel rund 692 Millionen Arzneimittel-Packungen verordnet. Zurzeit gibt es 65 DiGA – wobei das Indikationsspektrum überschaubar ist. Mehr als die Hälfte der Verordnungen lässt sich den Kategorien Bewegungsapparat, Adipositas und Tinnitus zuordnen.

Regionale Unterschiede im Verordnungsverhalten

Auffallend sind zudem regionale Unterschiede. So nutzen Patienten in den Stadtstaaten Hamburg, Bremen und Berlin sie am häufigsten, während das Saarland und Rheinland-Pfalz die Schlusslichter bilden. Diese Ergebnisse legen nahe, dass DiGA also nicht bevorzugt in unterversorgten Regionen verordnet werden, um andere Therapien zu substituieren, sondern im Gegenteil vor allem im großstädtischen Setting zum Einsatz kommen. 

Ein weiterer Zahlenvergleich sticht auch aus der Analyse heraus. Demnach sind Frauen gegenüber DiGA affiner als Männer. So wurden beispielsweise im Jahr 2022 mit 359 DiGA je 100.000 deutlich mehr für Frauen verschrieben als für Männer (181 je 100.000). Geschlechtsübergreifend wurden bezogen auf 100.000 Einwohner in 2022 insgesamt 271 DiGA verordnet. Das entspricht weniger als drei DiGA pro 1.000 Einwohnern. Als Zwischenbilanz nach vier Jahren kann man daher sagen: Im Vergleich zu anderen Therapiemaßnahmen werden sie selten genutzt.

Was die Kolleginnen und Kollegen von DiGA halten

Von den befragten Ärztinnen und Ärzten hatten 56,0 Prozent in den letzten zwölf Monaten mindestens eine DiGA verordnet und stolze 95,6 Prozent gaben an, dass ihnen diese Möglichkeit prinzipiell bekannt sei. Ein knappes Viertel fühlt sich auch gut oder sehr gut über DiGA informiert. Allerdings schätzt etwa auch ein Drittel den eigenen Informationsstand als schlecht oder sehr schlecht ein. So ist es kein Wunder, dass vier Fünftel der Ärzte die Informationen zu DiGA teilweise für unzureichend halten.

Offizielles DiGA-Verzeichnis ist für Ärztinnen und Ärzte oft wenig hilfreich

Als Informationsquelle sollte das DiGA-Verzeichnis des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), das für die DiGA-Zulassung verantwortlich ist, dienen. Allerdings steht das Verzeichnis schon länger in der Kritik. So forderte unter anderem der Verband der Ersatzkassen (vdek) das BfArM auf, es aktuell, verbindlich und transparent zu halten. Doch diesem Anspruch werde das Verzeichnis derzeit nicht gerecht, kritisierte der vdek. Die angegebenen Preise seien oft veraltet und die Informationen unübersichtlich dargestellt. In logischer Konsequenz haben 45,0 Prozent der Ärztinnen und Ärzte das Verzeichnis auch noch nie genutzt.

Die Aufnahme von DiGA in das BfArM-Verzeichnis ist die Voraussetzung dafür, dass Ärzte sie verordnen können. Die Aufnahme erfolgt zunächst vorläufig. Kann innerhalb von maximal 24 Monaten ein positiver Versorgungseffekt durch wissenschaftliche Studien nachgewiesen werden, wird die DiGA dauerhaft gelistet. Auf die Frage, ob die Art der Listung für sie wichtig ist, gaben 26,7 Prozent der DiGA-Verordner an, nur dauerhaft gelistete DiGA zu verordnen. 39,0 Prozent bevorzugten diese und für 34,3 Prozent spielte es keine Rolle.

Interessant waren auch die Antworten auf Fragen zu den Motiven für DiGA-Verordnungen. Besonders häufig kombinieren Ärzte sie gezielt mit anderen Therapien oder sie überbrückten damit Versorgungsengpässe bei anderen Therapieformen. Aber auch Nachfragen von Patienten scheinen inzwischen eine größere Rolle zu spielen. So gaben rund 70 Prozent an, von Patienten schon einmal auf DiGA angesprochen worden zu sein. Eher seltener scheinen DiGA dagegen als primäre Therapieoption oder als Therapie nach unzureichenden Erfolgen anderer Therapien genutzt zu werden.

Ärztliche Kritik an den DiGA

Mögliche Kritik äußerten die Kolleginnen und Kollegen bezüglich das Datenschutzes und des unzureichenden Spektrums zugelassener DiGA. Die höchste Zustimmung erhielt aber die kritische Aussage „Mir fehlen ausreichende Belege für die Wirksamkeit der DiGA“. Zudem schätzten 51,6 Prozent das Kosten-Nutzen-Verhältnis als ungünstig ein. Denn die Hersteller können im ersten Jahr ihre Preise selbst bestimmen, was zu hohen Kosten von bis zu 952 Euro für eine 90-tägige Anwendungsdauer führt. Erst, wenn die DiGA dauerhaft aufgenommen werden, gibt es Verhandlungen mit der GKV, um reduzierte Preise festzulegen.

Der Kostenkritik schließt sich auch die BARMER an. „Digitale Gesundheitsanwendungen sind für viele Menschen immer noch eine Blackbox. Zu wenig Detailwissen und falsche Erwartungen führen dazu, dass DiGA zurückhaltend verordnet werden und deren Einsatz oftmals vorzeitig abgebrochen wird“, sagte deren Vorstandsvorsitzende Prof. Christoph Straub. Zu kurz genutzte DiGA verursachten jedoch Kosten ohne nennenswerten Nutzen. Nach der aktuellen Analyse bricht jeder dritte Patient die Nutzung vorzeitig ab. Als Vorschlag wurde nun die Idee ins Rennen geworfen, dass Versicherte erst einen Testzeitraum von 14 Tagen verordnet bekommen, um DiGA in Ruhe ausprobieren zu können.    

ARZT & WIRTSCHAFT-Umfrage: Haben Sie bereits DiGA verordnet?

Zur Behandlung von Adipositas habe ich DiGA verordnet
Bei zwei, drei Patienten habe ich zur Behandlung von Adipositas die DiGA „Oviva Direkt für Adipositas“ verschrieben. Die Patienten sind zufrieden. Sie nehmen zwar langsam, aber stabil ab und erleben keinen Jojo-Effekt.
Blondine Kouezoh Nguimatsia, Hausärztin aus Tangermünde

Trotz häufiger Verordnung wenig Rückmeldungen von Patienten
Ich habe schon öfter DiGA verordnet. Hauptsächlich waren das Anwendungen zur Behandlung von Depressionen, Angststörungen, Tinnitus, für Raucher oder bei Reizdarmsyndrom. Rückmeldungen habe ich nicht sehr viele bekommen. Von zwei Patienten, die eine DiGA zur Depressionsbehandlung verwendet haben, erhielt ich eine positive Rückmeldung. Bei vielen depressiven Menschen scheitert es aber schon daran, den Kontakt mit der Krankenkasse aufzunehmen, um den Code für die App zu bekommen.
Madlen Fischer, Hausärztin aus Radebeul

Feedback von Patienten ist durchaus positiv
Folgende DiGA habe ich in der Patientenbehandlung angewendet: Deprexis zur Behandlung von Depressionen, somnio bei Schlafstörungen und zanadio bei adipösen Patienten. DiGA zur Behandlungsunterstützung bei Schlafstörungen oder zur Gewichtsabnahme sind sehr gut. Sie bieten durchaus gute Hilfestellungen und das Feedback der Patienten ist positiv.
Dr. med. Susanne B., Hausärztin aus Nordrhein-Westfalen