Modernisierung der Arztpraxis: „Ein Umbau ist eine großartige Möglichkeit, bisherige Abläufe zu überdenken“
Ina ReinschDie Münchner Architektin Anette Rabl hat sich auf die Planung und den Umbau von Arztpraxen spezialisiert. Im Interview spricht sie über vernachlässigte Personalräume, ungewöhnliche Farbkonzepte und warum sich das Umbaukonzept immer an der Organisationsstruktur der Praxis orientieren sollte.
Frau Rabl, viele niedergelassene Ärztinnen und Ärzte haben ihre Praxis vor Jahren übernommen und sich inzwischen mit vielen kleinen Macken arrangiert. Gibt es für Modernisierungsmaßnahmen einen Auslöser?
Wenn die EDV nicht mehr so funktioniert, wie sie soll, oder Geräte ausgetauscht werden müssen, führt das oft dazu, dass eine Praxis zumindest in Teilbereichen umstrukturiert oder umgebaut wird. Wir haben auch immer mehr Ärzte, die einen Partner oder eine Partnerin mit aufnehmen. Dann ändert sich auf einmal die Struktur der Praxis und damit auch das Anforderungsprofil an Platz und Organisation. Man hangelt sich noch eine Weile so durch, aber irgendwann wird klar, dass es zu kräftezehrend ist, wenn man zu viel Zeit mit nicht gut gelösten organisatorischen Problemen verliert. Auch der Datenschutz ist definitiv ein Thema. Teilweise beschweren sich die Patienten, weil sie es unangenehm finden, am Empfang zu stehen und andere wartende Personen mitverfolgen können, was dort gesprochen wird. Dann kommt natürlich die Frage: Wir haben hier nicht viel Platz – kriegen wir trotzdem eine Variante hin, wo wir ein größeres Maß an Vertraulichkeit erzielen können?
Sie kommen zu Beginn eines Auftrags zu einer Begehung in die Arztpraxis. Was sehen Sie da alles?
Das ist sehr breit gefächert. Zum einen gibt es Praxen, die noch ganz proper aussehen. Aber der Arzt oder die Ärztin hat die Praxis vielleicht schon von der Mama oder dem Papa oder jemand anderem übernommen und stellt nun fest: Es ist Zeit, dass frischer Wind und auch ein anderes Gestaltungskonzept hereinkommen. Zum anderen gibt es Praxen, die von der Gewerbeaufsicht im Status quo möglichst nicht geprüft werden sollten. Sonst gibt es eventuell ein größeres Problem. Man wird als Praxisbetreiber natürlich auch ein bisschen betriebsblind. Oft gibt es eine Initialzündung, wenn irgendwo im unmittelbaren Umfeld eine sehr schicke Praxis eröffnet.
Welches ist denn der nach Ihrer Erfahrung am meisten vernachlässigte Raum in einer Arztpraxis?
Ganz häufig leider der Personalbereich. Dabei wird es immer schwerer, gutes Personal zu finden. Also sollte man den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern schon ein attraktives Umfeld bieten. Auch die WC-Anlagen sehen manchmal sehr vernachlässigt aus. Ich denke, das geht im Arbeitsalltag ein bisschen unter. Aber die Außenwirkung, die aus solchen vermeintlichen Kleinigkeiten erwächst, sollte man nicht unterschätzen.
Manche Praxen sind sehr klein oder haben einen suboptimalen Grundriss. Wie können Sie das optimieren?
Ich schaue zunächst, wie die Praxis von der Organisationsstruktur her funktioniert: Wie viele Personen arbeiten hier? Wie sind die Aufgabenbereiche aufgeteilt? Wie viele Patientinnen und Patienten kommen üblicherweise? Wie viele davon sind Bestellpatienten? Beim Durchlaufen und im Gespräch versuche ich herauszufinden, wo der größte Handlungsbedarf besteht. Will man Wände herausreißen, braucht man natürlich einen Vermieter, der mitspielt. Im Altbau muss man klären, was die Statik des Gebäudes hergibt. Je intensiver die Eingriffe, desto eher müssen wir über Praxisschließzeiten sprechen. Das ist ein Erkenntnisprozess. Die Ärzte müssen sich fragen: Können wir ohne größere Umbaumaßnahmen an der Gebäudesubstanz die Grundprobleme der Praxis lösen? Je umfangreicher die Maßnahmen werden, desto eher rate ich dazu, die Praxis für den Umbau für zwei, drei oder auch einmal vier Wochen zu schließen, um dann von Grund auf wieder ein tragfähiges Konzept zu haben.
Kommen wir zum Thema Farbe. Welche Farben eignen sich denn für Arztpraxen?
Weiß ist natürlich zeitlos. Das Thema Farbe hängt aber stark von den persönlichen Vorlieben ab. Man muss sich überlegen, wie man selber gestrickt ist, ob man ein farbenfroher Mensch ist. Vor eineinhalb Jahren habe ich eine mund-, kiefer- und gesichtschirurgische Praxis komplett in Bauhausfarben eingerichtet. Da gibt es so gut wie überhaupt kein Weiß. Die Inhaberin hat gesagt: Meine Wohnung sieht genauso aus und ich werde so viel Zeit in dieser Praxis verbringen, ich will mich da wohlfühlen und ich möchte auch, dass die Patienten reinkommen und komplett vergessen, dass sie beim Chirurgen sind. Das war ein sehr interessantes Konzept. Sobald wir mehrere Praxisinhaber oder -inhaberinnen haben, wird es farblich tendenziell etwas ruhiger, weil man mehr Vorlieben unter einen Hut bringen muss. Man kann jedoch zumindest einzelne Farbakzente setzen an Flächen, die man gut wieder verändern kann.
Worauf muss man bei den Materialien achten?
Vieles ist uns über die Hygienevorgaben vorgeschrieben: Desinfektionsmittelbeständigkeit bei allen Oberflächen, eine entsprechende Rutschfestigkeit bei den Böden, ausreichende Chemikalienresistenz bei den Arbeitsplatten. Das ergibt natürlich Sinn, weil wir somit über eine gewisse Dauerhaftigkeit und Langlebigkeit reden. Nichtsdestotrotz gibt es heute im Bereich Schichtstoffe, Mineralwerkstoffe und bei Bodenbelägen hinsichtlich Design und Oberflächengestaltung eine Riesenauswahl – von Natursteinreproduktionen über Holzreproduktion bis hin zu einer unendlichen Anzahl an Fantasiedekoren. Von daher müsste man tatsächlich nicht immer bei Weiß bleiben.
Müssen es immer abwischbare Wartezimmerstühle sein?
Jein. Corona ist noch nicht so lange her. Da waren die Patienten sehr sensibilisiert und haben bei den Praxen oft nachgefragt, wie das Reinigungskonzept aussieht und wie regelmäßig die Oberflächen desinfiziert werden. Wir haben aber zum Beispiel die Möglichkeit, über eine Teilbepolsterung zu sprechen. Das heißt, man kann eine gepolsterte Sitzfläche anbieten und wenn wirklich mal ein Unglück passiert, kann man die Sitzpolster austauschen. Die Patienten haben dadurch eine angenehmere Atmosphäre.
Neonlampen an der Decke verbreiten den Charme der 1980er-Jahre. Wie sieht ein gutes Beleuchtungskonzept aus?
Die LED-Technologie hat uns immense Vorteile gebracht, nicht nur, was die Qualität der Beleuchtung angeht, sondern auch in puncto Energieeinsparung und geringerer Wärmeentwicklung. Wir können jetzt eine extreme Vielfalt an Farbtemperaturen anbieten, also weißes Licht von etwa 6.000 Kelvin, das die meisten tendenziell als unangenehm grell empfinden, bis hin zum Glühlampeneffekt bei 2.500 Kelvin. Es gibt aber kein Konzept, das für alle Praxen und alle Bereiche passt. Man muss überlegen, für welche Fachrichtung man plant. Außerdem kommt es auf den Arbeitsbereich an: Den Personalraum würde ich von der Lichtstimmung immer anders gestalten als die Arbeits- und Behandlungsräume.
In welchen Räumen besteht denn der größte Spielraum für schönes Design?
Auf jeden Fall im Empfangsbereich und im Wartebereich. Der erste Eindruck der Praxis ist für Patientinnen und Patienten enorm wichtig. Es soll angenehm und attraktiv aussehen. Für die Empfangstheke und die Kurzwartezone sind die Ärztinnen und Ärzte wirklich bereit, Geld auszugeben. Es gibt außerdem Ärzte, die gerne noch einen schönen Rückzugsbereich für sich haben möchten – andere legen darauf weniger Wert, da sie neben der Zeit am Patienten wenig Möglichkeiten sehen, ein solches Büro zu nutzen.
Es geht in einer Arztpraxis nicht nur darum, dass die Patienten sich wohlfühlen, sondern auch die Mitarbeitenden. Mit welchen Maßnahmen kann das gelingen?
Ich rate all meinen Kundinnen und Kunden dazu, wenn es irgendwie möglich ist, die Umkleideschränke aus dem Pausenbereich zu entfernen, weil es immer ein bisschen unaufgeräumt aussieht. In dem Moment, wo die Umkleide vom Aufenthaltsbereich getrennt ist, ist schon viel gewonnen. Ich finde es wichtig, eine Küchenzeile anzubieten, die die essenziellen Grundbedürfnisse erfüllt. Wir arbeiten inzwischen oft mit Armaturen, die gleichzeitig Wasserspender sind, sodass gekühltes und auf Wunsch schon kohlensäureversetztes Wasser aus dem Hahn gezapft werden kann. Damit ist auch das Problem mit dem Getränkekasten-Lager gelöst. Eine Mikrowelle ist mittlerweile Standard, ebenso eine ordentliche Kaffeemaschine, ein vernünftiger Wasserkocher und eine Spülmaschine. Auch ein bequemer Sitzbereich ist wichtig – das geht bis hin zur Integration eines Sofas.
Wo wünschten Sie sich mehr Mut von Ihren Auftraggebern und warum?
Beim Thema Farbe und Beleuchtung. Oft kann man mit einer einzigen schönen Akzent- oder Designleuchte am Empfang oder im Wartebereich als Eyecatcher eine ganz andere Atmosphäre schaffen. Damit kann man sich auch ein bisschen von anderen Arztpraxen abheben. Viele Ärztinnen und Ärzte denken einfach nicht bewusst daran. Wenn ich es anspreche, sind die meisten aber sehr empfänglich dafür.
Was ist in puncto Barrierefreiheit zu beachten? Können Sie jede bestehende Praxis barrierefrei machen?
Bei vielen Bestandsbauten haben wir leider das Problem, dass man das Gebäude gar nicht barrierefrei betreten kann. Zum Beispiel kommt man erst nach dem Überwinden einiger Stufen zum Lift im Hochparterre. Dort passt dann noch nicht einmal ein normaler Kinderwagen hinein, geschweige denn ein Rollstuhl. Da muss man sich natürlich fragen, ob es sinnvoll ist, eine barrierefreie Toilette einzubauen. Ich empfehle meinen Kundinnen und Kunden aber, dass man sich zumindest mit einem Rollator in der Praxis bewegen können sollte und dass ein Haltegriff auf der Toilette für viele ältere Personen hilfreich ist. Anders ist es bei einem Gebäude, das man mit Rollstuhl problemlos befahren kann und bei dem der Fahrstuhl ausreichend groß ist. Baut der Praxisinhaber hier um, ist der Moment gekommen, eine vollständig barrierefreie Toilette einzubauen, um flächendeckend eine gute Versorgung von Menschen mit Behinderung zu erreichen. Wenn im Zuge eines Umbaus außerdem Schwellen entfallen oder zurückgebaut werden, man darauf achtet, dass die Praxis übersichtlich ist, ausreichend breite Flure hat und man noch mit einem Handlauf an der Wand arbeitet, ist viel gewonnen.
Beim Umbau einer Arztpraxis geht es auch um rechtliche Vorgaben. Welche Vorschriften sind besonders zu beachten?
Hier greift vieles ineinander: Alles, was in Richtung Barrierefreiheit geht, hilft auch bei der Einhaltung der Arbeitsstättenrichtlinien – keine Schwellen, eine gewisse Rutschfestigkeit, möglichst fugenfreie Bodenbeläge und Oberflächen wegen der Hygiene, eine Beleuchtung, welche abgestimmt ist auf den jeweiligen Arbeitsplatz und so weiter. Wichtig sind außerdem die Themen Brandschutz und Fluchtwege. Gerade in alten Bestandspraxen findet man beim Öffnen von Decken oder Böden oft interessante Lösungen, wie die Steigleitungen durchs Gebäude hindurchgeführt werden. Statt einer Brandschutzmanschette wurde manchmal mit zusammengeknülltem Zeitungspapier gearbeitet. Da muss man sofort einschreiten.
Gibt es Dinge, die niedergelassene Ärztinnen und Ärzte beim Umbau regelmäßig unterschätzen?
Ja, und zwar die Frage: Wie arbeiten wir aktuell von unserer Organisation her und wie wollen wir zukünftig arbeiten? Der Praxisumbau ist eine großartige Möglichkeit, zu überdenken, ob die bisherigen Abläufe sinnvoll und noch zeitgemäß sind. Ein weiterer wichtiger Punkt, gerade bei Praxen mit mehreren Behandlern, ist es, für den Umbau die Entscheidungskompetenzen und die Kommunikation klar zu regeln: Wer hat die Projektverantwortung von Bauherrenseite, wer ist schwerpunktmäßig der erste Ansprechpartner für die Baufirmen und für den Architekten? Das wird gerne unterschätzt und führt dazu, dass ein Bauvorhaben auf einmal schwierig zu steuern wird. Ein dritter Punkt: Auch das Team muss eingebunden werden und wissen, was geschieht und sich organisatorisch verändert. Das muss man im Vorfeld klar kommunizieren.
Anette Rabl, Innenarchitektin, Architektin und Mediatorin in München
geboren 1967
Studium der Innenarchitektur an der FH Rosenheim und der Architektur an der FH Stuttgart
Mitarbeit in verschiedenen Architekturbüros in Stuttgart, Sindelfingen und München
2003 Gründung des Architekturbüros Anette Rabl mit den Schwerpunkten Design und Konzeption von Arztpraxen sowie Büroraumplanung und Wohnraumgestaltung
Das Interview führte A&W-Redakteurin Ina Reinsch