Am Telefon im Minenfeld: Was MFAs sagen dürfen – und was nicht
Marzena SickingDas Praxistelefon klingelt ununterbrochen. Angehörige fragen nach Befunden, Patienten wollen Testergebnisse, Apotheken brauchen Informationen. Medizinische Fachangestellte (MFA) bewegen sich bei solchen Gesprächen nahezu täglich im Spannungsfeld zwischen Service und Schweigepflicht. Sehr auskunftsfreudig zu sein, ist keine Kleinigkeit: Ein falsches Wort kann rechtliche Konsequenzen haben.
Gespräche am Telefon sind tückisch. Anders als bei persönlichem Kontakt in der Praxis gibt es hier nämlich keine Möglichkeit, die Identität des Anrufers sicher zu überprüfen. Die Stimme am anderen Ende behauptet, Herr Müller zu sein – aber ist sie es wirklich? Diese Unsicherheit macht jedes Telefonat in der Arztpraxis zu einem potenziellen Datenschutzrisiko.
Warum Telefonate in der Arztpraxis besonders heikel sind
Denn: Die ärztliche Schweigepflicht gilt uneingeschränkt, auch für MFA und auch am Telefon. Paragraph 203 Strafgesetzbuch droht bei Verstößen mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe. Hinzu kommen datenschutzrechtliche Konsequenzen nach DSGVO mit empfindlichen Bußgeldern. Die Verantwortung liegt nicht nur beim Arzt, sondern auch bei den MFAs als Teil des Praxisteams. Gleichzeitig erwarten Patienten Service. Sie wollen schnelle Auskunft und unkomplizierte Kommunikation. Dieser Spagat zwischen berechtigten Patientenwünschen und rechtlichen Vorgaben gehört zu den schwierigsten Aspekten der täglichen Arbeit am Empfang.
Die Grundregel: Im Zweifel schweigen
Aber wie schafft man es, allen Anforderungen gerecht zu werden? Indem man strukturiert vorgeht. Bevor überhaupt Informationen gegeben werden, muss die Identität des Anrufers geklärt sein. Das klingt selbstverständlich, wird aber im hektischen Praxisalltag oft vernachlässigt. Die bloße Nennung eines Namens reicht dafür jedenfalls nicht aus. Theoretisch könnte ja jeder anrufen und behaupten, ein bestimmter Patient zu sein. Sichere Identifikation am Telefon erfolgt am besten über die Abfrage mehrerer Merkmale: vollständiger Name, Geburtsdatum, Adresse. Erst wenn diese Daten übereinstimmen, dürfen Informationen weitergegeben werden. Manche Praxen arbeiten zusätzlich mit Passwörtern oder PIN-Codes, die bei der Anmeldung vergeben werden – besonders bei sensiblen Fachrichtungen wie Psychiatrie oder Gynäkologie ist das durchaus üblich.
Wenn die geringste Unsicherheit besteht, ist die Antwort klar: „Ich kann Ihnen diese Information am Telefon nicht geben. Bitte kommen Sie persönlich vorbei oder ich rufe Sie auf der uns bekannten Nummer zurück.“ Dieser Rückruf auf die im System hinterlegte Nummer bietet zusätzliche Sicherheit – wenn tatsächlich der Patient angerufen hat, erreicht man ihn auch unter dieser Nummer.
Was definitiv nicht am Telefon besprochen wird
Manche Informationen gehören aber grundsätzlich nicht ans Telefon, unabhängig von der Identifikation. Diagnosen sind hier das sensibelste Thema überhaupt. Mitteilungen wie „Ihre Blutuntersuchung zeigt erhöhte Leberwerte“ oder „Der Abstrich war positiv“ oder gar komplett lebensverändernde Nachrichten können und sollten nicht am Telefon kommuniziert werden. Rückfragen sind in so einem Moment schließlich schlecht möglich, dafür mögliche Missverständnisse vorprogrammiert, und die psychologische Begleitung bei schlechten Nachrichten fehlt komplett.
Gerade Befunde, die weitreichende Konsequenzen haben, müssen persönlich mit Arzt oder Ärztin besprochen werden. Krebsdiagnosen, HIV-Tests, genetische Untersuchungen – hier ist das persönliche Gespräch mit dem zuständigen Behandler zwingend. Behandlungsverläufe oder Details zu Therapien sind ebenfalls problematisch. Selbst wenn der Patient am Telefon ist – wer hört mit? Ist er allein oder im Großraumbüro? Nutzt er Lautsprecher? Diese Unwägbarkeiten machen detaillierte medizinische Gespräche am Telefon ungeeignet. Eine MFA kann in solchen Situation am Telefon nur mitteilen: „Der Befund ist da. Bitte vereinbaren Sie einen Termin zur weiteren Besprechung.“
Telefonische Auskunft – Ja oder Nein?
NIEMALS am Telefon:
Diagnosen mitteilen
Pathologische Befunde besprechen
Detaillierte Behandlungsinformationen
Informationen an Dritte ohne Schweigepflichtentbindung
NUR nach sicherer Identifikation:
Terminbestätigungen
Erinnerung an anstehende Vorsorge
Information, dass Rezept/Überweisung abholbereit ist
Unauffällige Routinewerte (nach Arztvorgabe)
Organisatorisches (Öffnungszeiten, Kosten)
IMMER möglich:
Terminvereinbarungen
Allgemeine Praxisinformationen
Wegbeschreibung
Information über angebotene Leistungen
Auskunftspflichten: Der Umgang mit Angehörigen und was bei Minderjährigen zusätzlich zu beachten ist
„Ich bin die Ehefrau von Herrn Müller und möchte wissen, wie es ihm geht.“ Solche Anrufe sind ebenfalls häufig in Arztpraxen anzutreffen und ebenfalls ausgesprochen heikel. Denn auch engste Angehörige haben kein automatisches Auskunftsrecht. Die Schweigepflicht gilt gegenüber allen Dritten, außer der Patient hat ausdrücklich eine entsprechende Schweigepflichtentbindung erteilt. Aber Vorsicht: Diese Entbindung muss schriftlich vorliegen und dokumentiert sein. Viele Praxen haben dafür Formulare, auf denen Patienten benennen können, wer Auskunft erhalten darf. Ohne diese Vollmacht gilt: keine Auskunft, auch nicht an Ehepartner oder erwachsene Kinder.
Anders sieht es bei jüngeren Kindern und ihren Angehörigen aus. Bei minderjährigen Patienten sind zumindest die Sorgeberechtigten auskunftsberechtigt – in der Regel beide Elternteile. Aber auch hier gibt es Grenzen: Ab einem bestimmten Alter, meist ab 14 Jahren, haben Jugendliche ein Mitspracherecht. Eine Auskunft sollte eigentlich auch nur erfolgen, wenn das Sorgerecht nachgewiesen ist. Wenn beispielsweise eine Mutter anruft und nach dem Kind fragt, aber der Vater das alleinige Sorgerecht hat, darf ihr nämlich keine Auskunft erteilt werden.
Apotheken, Pflegedienste, andere Ärzte
Ebenfalls Alltag in der Arztpraxis: Die Apotheke ruft an und fragt nach Details zu einem Rezept. Der Pflegedienst braucht Informationen zur Medikation. Ein Facharzt erkundigt sich nach Vorbefunden. Doch auch hier gelten strenge Regeln: Grundsätzlich dürfen Informationen an Dritte immer nur weitergegeben werden, wenn eine entsprechende Schweigepflichtentbindung vorliegt. Bei Überweisungen zu Fachärzten ist diese meist implizit, der Patient möchte ja, dass der Facharzt informiert ist. Trotzdem sollte im Zweifel beim Patienten nachgefragt werden.
Bei Apotheken wird es kompliziert. Wenn ein Patient sein Rezept dort einlöst, ist klar, dass die Apotheke das Medikament kennt. Aber darf die Praxis am Telefon Details zur Dosierung oder Einnahme ergänzen? Rechtlich ja, wenn der Patient die Apotheke beauftragt hat. Praktisch sollte sichergestellt sein, dass tatsächlich die Apotheke anruft und nicht jemand, der sich als solche ausgibt. Pflegedienste haben oft umfassende Vollmachten der Patienten, da sie eng in die Versorgung eingebunden sind. Dennoch sollte man nach dieser Vollmacht fragen und sie dokumentieren. Ein Anruf „Wir betreuen Frau Schmidt und brauchen Informationen“ reicht für die Freigabe der Informationen jedenfalls nicht aus.
Moderne Kommunikationsformen und ihre Tücken
WhatsApp, SMS, E-Mail – die Patienten erwarten zunehmend digitale Kommunikation. Doch hier ist besondere Vorsicht geboten. Normale E-Mails sind nicht verschlüsselt und entsprechen nicht den Datenschutzanforderungen für sensible Gesundheitsdaten. Terminbestätigungen per E-Mail oder SMS sind zwar möglich, wenn der Patient dem zugestimmt hat. Aber auch hier gilt: keine Details. WhatsApp ist datenschutzrechtlich sogar hochproblematisch. Die normalen Chats erfüllen nicht die Anforderungen der DSGVO.
Wenn Fehler passieren und wie man sie künftig vermeidet
Trotz aller Vorsicht kann es passieren: Eine Information wird am Telefon an eine Person gegeben, die sie gar nicht hätte erhalten dürfen und man merkt es erst hinterher. Wie geht man am besten mit so einer Situation um? Vertuschen ist der falsche Weg. Transparenz und schnelles Handeln sind gefragt. Der Vorfall sollte der Praxisleitung gemeldet werden. Gemeinsam wird entschieden, wie weiter vorgegangen wird. In manchen Fällen muss der Patient informiert werden, in gravierenden Fällen auch die Datenschutzbehörde. Das klingt drastisch, aber Offenheit ist besser als spätere rechtliche Probleme.
Wichtig ist, aus solchen Fehlern zu lernen. Warum ist es passiert? War Zeitdruck der Grund? Fehlende Kenntnis? Unklare Prozesse? Diese Analyse hilft, Wiederholungen zu vermeiden. Klare Telefonleitfäden oder technische Lösungen wie Callback-Systeme können Abhilfe schaffen. Regelmäßige Schulungen im Team sind unverzichtbar. Datenschutz und Schweigepflicht sollten mindestens einmal jährlich thematisiert werden. Neue Mitarbeiter brauchen eine gründliche Einweisung, bevor sie ans Telefon gehen. Diese Investition zahlt sich aus.
Manche Praxen arbeiten mit Telefon-Checklisten, die neben dem Apparat liegen. Darauf steht: Identität prüfen (Name, Geburtsdatum), bei Unsicherheit Rückruf anbieten, keine Diagnosen mitteilen. Solche Gedankenstützen helfen besonders in stressigen Momenten. Auch Formulierungen für häufige Situationen erleichtern den Alltag. Statt jedes Mal neu überlegen zu müssen, wie man höflich aber bestimmt eine Auskunft verweigert, gibt es Standard-Sätze: „Aus Datenschutzgründen kann ich Ihnen diese Information am Telefon nicht geben. Ich bitte um Ihr Verständnis.“ Diese Formulierung ist freundlich, klar und rechtlich sauber.
Die Balance zwischen Service und Sicherheit
Datenschutz am Telefon ist also keine Schikane, sondern Patientenschutz. Die meisten Patienten haben sogar Verständnis, wenn Auskunft verweigert wird. „Ich würde Ihre Daten auch nicht an jemand anderen weitergeben“ ist ein Argument, das überzeugt. Für MFAs bedeutet das: Selbstbewusst bleiben, auch wenn Patienten drängen. Die rechtliche Verantwortung ist real, die Konsequenzen bei Verstößen ernst. Deshalb lieber einmal zu vorsichtig als einmal zu leichtsinnig.