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Recht

Dass Männer mit fortschreitendem Alter eine Gynäkomastie entwickeln, ist gar nicht so selten. Auch einem 1971 geborenen, gesetzlich versicherten Patienten setzte seine „Männerbrust“ zu. Er beantragte bei seiner Krankenkasse eine beidseitige Mastektomie inklusive volumenreduzierender und bruststraffender Maßnahmen und begründete dies mit Einschränkungen im Alltag. Er habe leicht brennende, kribbelnde Missempfindungen und Berührungsempfindlichkeit im Bereich der Brustwarzen, Druckschmerz und Spannungsgefühl und zeitweise auch ziehende Schmerzen in Ruhe sowie in Bewegung, etwa beim Joggen.

Die Krankenkasse schaltete den Medizinischen Dienst ein. Dieser stellte eine nur leichtgradige Brustvergrößerung ohne entzündliche Veränderungen oder maligne Prozesse fest und sah keine medizinische Notwendigkeit für eine Operation. Der Patient reichte ein privates Gutachten ein, das ihm bescheinigte, dass die operative Mastektomie als einzig sinnvolle Behandlungsmaßnahme notwendig sei. Doch die Krankenkasse lehnte den Antrag ab. Der Patient klagte.

Gynäkomastie: Ein Eingriff in intaktes Organ

Sowohl vor dem Sozialgericht Darmstadt als auch vor dem Hessischen Landessozialgericht (LSG) musste er eine Niederlage einstecken. Das Urteil des LSG zeigt, dass die Hürden für eine Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung hoch liegen (25.07.2024, Az. L 1 KR 193/22). Rechtsgrundlage für die Gewährung der begehrten Operation ist § 27 SGB V (Fünftes Sozialgesetzbuch). Danach haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern.

Was eine Krankheit im Rechtssinn ist, hat die Rechtsprechung definiert: Unter Krankheit ist ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand zu verstehen, der einer ärztlichen Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht. Doch nicht jeder körperlichen Unregelmäßigkeit kommt Krankheitswert zu. Eine Krankheit liegt nur vor, wenn der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt wird oder wenn die anatomische Abweichung entstellend wirkt. 

Wird durch eine Operation in ein funktionell intaktes Organ eingegriffen und dieses regelwidrig verändert, bedarf es einer besonderen Rechtfertigung für den Eingriff. Dabei müssen die Art und Schwere der Erkrankung, die Dringlichkeit der Intervention, die Risiken und der zu erwartende Nutzen der Therapie auf der einen Seite sowie etwaige Folgekosten für die Krankenversicherung auf der anderen Seite gegeneinander abgewogen werden.

Brustverkleinerung bei schwerwiegender Erkrankung der Haut

Für eine Brustverkleinerung bedeutet das: Sie darf immer nur das letzte Mittel sein. Denn ein operativer Eingriff ist stets mit einem erheblichen Risiko verbunden ist. Machen zum Beispiel Patientinnen orthopädische Beschwerden in Folge von übergroßen Brüsten geltend, muss eine schwerwiegende Erkrankung der Wirbelsäule vorliegen, alle konservativen orthopädischen Behandlungsmaßnahmen müssen ausgeschöpft sein und die an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit bestehen, dass die Maßnahme auch den gewünschten Behandlungserfolg bringt. Bei einer postbariatrischen Straffungsoperation muss ein schwerwiegendes Krankheitsbild der Haut vorliegen, um einen operativen Eingriff zu rechtfertigen. Erst dann übernimmt die gesetzliche Krankenversicherung die Kosten.

Keine OP ohne Risiko

Diese Voraussetzungen erfüllte die Gynäkomastie des Patienten nicht. Weder das Gutachten des Patienten überzeugte das Gericht, da der Sachverständige die Angaben des Patienten nicht kritisch überprüft habe, noch die vorgelegten Bilder. Das Gericht folgte daher der Einschätzung des Medizinischen Dienstes. In seiner Abwägung wiesen die Richter auf die Risiken eines Eingriffs hin: mögliche Entzündungen, Thrombose oder Lungenembolie und operationsspezifische Komplikationen.

Brustverkleinerung ist Ultima Ratio

Für Hausärztinnen und Hausärzte ist es wichtig zu wissen, dass die Hürden für eine Operation bei idiopathischer Gynäkomastie hoch liegen. Andere Therapieoptionen müssen ausgeschöpft sein. Das bedeutet auch, dass beispielsweise eine schmerztherapeutische Behandlung durchgeführt und dokumentiert worden sein muss. Auch Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen aufgrund von Beschwerden können ein wichtiger Beleg für die Schwere der Erkrankung sein.