Praxisführung mit Fingerspitzengefühl: So entwickeln Sie nörgelnde Mitarbeitende weiter
Thomas EckardtManche Mitarbeitende neigen dazu, alles negativ zu sehen. Ihr ständiges Gemecker zersetzt auf Dauer allerdings die Arbeitsmotivation des gesamten Praxisteams. Für Praxisleitungen ist es daher wichtig, rechtzeitig die Ursachen für diese Negativität zu identifizieren und Lösungen zu finden.
Wenn manche MFA viel meckern und das ganze Praxisteam mit ihrer Negativität herunterziehen, kann das unterschiedliche Ursachen haben. Wie eine aktuelle Studie im Auftrag der Felix Burda Stiftung jetzt zeigt, beeinflussen mehrere Faktoren die Zufriedenheit der MFA mit ihrem Arbeitsplatz.
So gaben insgesamt nur 22 Prozent der 1.000 Befragten an, Spaß an der Tätigkeit als MFA zu haben. Am zufriedensten sind die MFA in Mecklenburg-Vorpommern. Dort haben 66 Prozent Freude an ihrem Beruf. Allerdings meinten auch 65 Prozent, dass die Arbeitsrealität nur wenig bis gar nicht ihren Vorstellungen bei der Berufswahl entspricht. So bewerteten 38,8 Prozent ihre momentane Arbeitslast als viel zu hoch, 44,1 Prozent als etwas zu hoch. 50 Prozent sagten sogar, dass es ihnen nicht mehr möglich ist, mit der nötigen Sorgfalt auf die Patienten einzugehen. Und bei rund 68 Prozent besteht die wöchentliche Arbeitszeit zu über 40 Prozent aus organisatorischen Tätigkeiten.
Wie man Mitarbeiter dauerhaft motiviert
Die Motivation hochzuhalten, ist aber nicht nur wegen der hohen Arbeitslast herausfordernd. Ein weiterer Knackpunkt ist die mangelnde Wertschätzung. Über 85 Prozent empfinden zum Beispiel ihr Gehalt als zu niedrig. Neben der fehlenden monetären Wertschätzung wirkt sich vor allem auch die zunehmende Unfreundlichkeit, Respektlosigkeit und Aggressivität der Patienten negativ aus. Daher wundert es nicht, dass sich 70 Prozent der MFA nicht wertgeschätzt fühlen und über 45 Prozent überlegen, aus dem Beruf auszusteigen und die Branche zu wechseln. Nur 20 Prozent wollen gar nicht wechseln, auch nicht in eine andere Praxis oder ein Krankenhaus.
All diese negativen Faktoren wirken sich auch auf die Arbeitsmotivation aus; je nach Persönlichkeitsstruktur mal mehr oder weniger. Damit eine MFA nicht in einen Negativitätsstrudel abdriftet und sich zur Low-Perfomerin entwickelt, ist es für die Praxisleitung wichtig, möglichst früh anzusetzen. Am besten sollte sie schon während der Ausbildungszeit ein Augenmerk darauf legen, welche charakterliche Grundstruktur eine Auszubildende hat und wie sie positiv entwickelt werden kann. Denn wo Unsicherheit, Ängste und Groll herrschen, kann Ausbildung nicht funktionieren.
Ein Beispiel aus der Praxis. Erste Warnsignale gab es bei der Auszubildenden Lena M. von Anfang an. Schon bei einem ersten Gespräch mit der Praxismanagerin, die sich um die Ausbildung der Azubis kümmert, beschwerte sich die junge Frau: „Das ist doch alles viel zu viel! Ich werde hier als billige Hilfskraft missbraucht! Die Kolleginnen werfen mir einfach die Arbeit hin. Wenn ich sage, dass ich das noch nicht kann, zucken sie mit den Schultern und sagen auch noch, ich müsste doch schon mehr können. Dabei bin ich erst im ersten Ausbildungsjahr! Und überhaupt sind alle immer unfreundlich.“
Keine Frage, Lena M. leidet unter negativen Gefühlen. Sie fühlt sich abgelehnt, überfordert, unverstanden. Ihre Kolleginnen hingegen empfinden Lena M. als sehr herausfordernd, eher aggressiv und unwillig, wenn es ums Arbeiten geht. „Die anderen Auszubildenden geben sich viel mehr Mühe“, heißt es unisono.
Ein Test analysiert die Unzufriedenheit im Team
Die Praxismanagerin sieht, dass Lena leidet – und die Kolleginnen nicht minder. Es ist Zeit, etwas gegen Lenas Negativität zu tun. Aber was? Ein erster Schritt kann der sogenannte SEEDS-Test sein. Er hilft, die Situation besser einzuordnen.
Der SEEDS-Test
SEEDS ist ein Akronym aus Situation, Erklärung, Emotion, darauffolgender Handlung und Selbstwertgefühl. Bei Lena M. sieht er so aus:
Situation: Die Kolleginnen erwidern meinen Gruß nicht.
Erklärung: Die Kolleginnen mögen mich nicht.
Emotion: Ärger, Verletztheit
Darauffolgende Handlung: Widerstand bei Arbeitsaufträgen
Selbstwertgefühl: Verunsicherung
Dieser kurze Test verrät, dass Lena M. gewohnheitsmäßig negativ geprägt ist. Bei scheinbarer Ablehnung vermutet sie sofort, nicht gemocht zu werden, traut sich nichts zu und reagiert entsprechend verunsichert auf Arbeitsaufträge. Aber entspricht das wirklich der Realität?
Bei einem klärenden Gespräch mit der Praxismanagerin kommt heraus, dass Lena M. auf fast jeden Arbeitsauftrag mit der Warnung „Das kann ich nicht!“ reagiert. „Wir können Lena nicht immer jemanden zur Seite stellen“, sagen die Kolleginnen. „Andere Auszubildende im ersten Jahr sind schon weiter und arbeiten auch mal allein.“ Auch Lenas Beschwerde, dass die Kolleginnen unfreundlich zu ihr seien, stellt sich aus Sicht des Praxisteams anders dar: „Wir haben einfach viel zu tun und sind mit dem Kopf oft schon beim nächsten Patienten. Da wird auch mal ein Gruß nicht erwidert. Das ist nicht persönlich gemeint.“
Um Lenas Reaktionen besser zu verstehen, ist es hilfreich, die Ursachen ihrer Negativität zu kennen. Grundsätzlich kann Negativität vor allem zwei Ursachen haben. Einmal situationsbedingt: Dann ist Negativität realitätsbezogen und auf konkrete Ängste oder Erlebnisse zurückzuführen. Sie kann aber auch gewohnheitsbedingt sein. Dann ist die Negativität allgemeiner Natur, möglicherweise von unbegründeten Ängsten genährt.
Zwei häufige Ursachen für Negativität von Mitarbeitern
In beiden Fällen hilft der SEEDS-Test zu klären, was konkret vorgefallen ist, wie es interpretiert wurde und was die handelnden Personen dazu sagen. Zurück zu Lena: Bei ihrem Test kam heraus: Sie reagiert gewohnheitsmäßig negativ und je öfter sie das tut, desto tiefer gerät sie in den Negativstrudel. Aber das ist nicht nur für Lena eine Belastung. Denn Negativität macht vor keinem Halt! Wie Wellen, die von einem ins Wasser geworfenen Stein ausgehen, pflanzt sich Negativität fort und wirkt sich auf alles aus, was sich ihr in den Weg stellt. Schon eine unzufriedene Auszubildende kann die Stimmung in der Praxis so ungünstig beeinflussen, dass sie sich auf die Arbeitsmotivation aller Mitarbeitenden niederschlägt. Daher ist es für Praxisleitungen wichtig, die Grundregeln im Umgang mit Negativität zu kennen, um sie rechtzeitig einzudämmen (s. Tabelle).
Diese Fallen sollten Sie vermeiden | Das sollten Sie tun |
Ignorieren Sie negatives Verhalten. | Sprechen Sie negative Einstellungen, Erklärungen und Handlungen der Auszubildenden an (SEEDS-Test). |
Seien Sie autoritär. | Machen Sie Vorschläge und bieten Sie Hilfe an. |
Streiten Sie. | Bestätigen Sie bei berechtigter Besorgnis, fördern Sie den Dialog, entlocken Sie Meinungen, zeigen Sie Interesse, machen Sie Lösungsvorschläge. |
Machen Sie versteckte oder zynische Bemerkungen über die Auswirkungen auf andere. | Konfrontieren Sie negative Menschen direkt damit, wie ihr Verhalten das ihrer Kolleginnen beeinflusst. |
Begegnen Sie negativem Verhalten mit Ironie oder Sarkasmus. | Klären, identifizieren und konzentrieren Sie sich auf die Einzelheiten. |
Werden Sie persönlich. | Bleiben Sie beim Thema und konzentrieren Sie sich auf die einzelnen Begebenheiten. |
Nehmen Sie die Dinge persönlich. | Bewahren Sie Weitblick und Humor. |
Selbstverständlich ist es nicht einfach, eingefahrene Gewohnheiten zu ändern. Das gilt auch für Lena M. und ihre negative Sicht auf die Welt. Umso wichtiger ist es, dass Lena sich künftig selber hilft, wenn sie wieder das Gefühl hat, dass „ihr alles viel zu viel ist“. Ihre Praxismanagerin gibt ihr dafür eine Hausaufgabe mit, die aus vier Schritten besteht.
Verhalten: Lena holt sich künftig ehrliches Feedback von Menschen am Arbeitsplatz und im privaten Umfeld, denen sie vertraut: Was tue oder sage ich, wodurch ich auf andere als besonders negativ wirke?
Situation: Lena soll abends notieren, wer sie als negativ empfunden hat (in der Praxis, zu Hause, im Kollegen- oder Freundeskreis, in Stresssituationen). Sie soll jene Erlebnisse markieren, die sie am dringendsten ändern möchte.
Selbstcheck: Lena wird eine Checkliste mit ihren negativen Verhaltensweisen (Widerstand, Aggression, Angst etc.) schreiben, um sich in ihren „Negativ-Situationen“ überprüfen zu können. Dafür kann sie auch den SEEDS-Test nutzen.
Optimismustraining: Lena wird aktiv nach Gelegenheiten suchen, sich positiv und optimistisch zu fühlen, und darf anfangs dabei ruhig etwas übertreiben.
Negative Einstellungen bei Menschen zu erkennen und ihnen bei der Bewältigung zu helfen, ist eine Aufgabe, die eine gute Praxisanleitung auszeichnet. Doch es gibt noch eine andere Seite, die auch von Negativität betroffen sein kann – und zwar die eigene Arztpraxis und die dort vorherrschende Kultur. Ein Gang mit offenen Augen durch die eigene Arztpraxis, bei dem der Fokus auf der Unternehmenskultur liegt, offenbart so manche Schwachstelle.
Folgende Fragen sind dabei wichtig:
Welches Verhalten können Sie normalerweise bei Ihren Praxismitarbeitern beobachten, wenn
sie Patienten begrüßen?
sie sehen, dass ein Vorgesetzter zu ihnen kommt?
sie sehen, dass ein Kollege zu ihnen kommt?
sie mit einem größeren Problem konfrontiert werden?
sie eine Entscheidung oder einen Standard ablehnen?
Dahinter verbergen sich gelebte Normen, also typische Verhaltensmuster, erlernte Verhaltensweisen und Ansichten. Offizielle Normen, etwa die Arbeitskleidung, sind für Außenstehende offensichtlich. Inoffizielle Normen, Anrede untereinander, Konkurrenzverhalten, sind nur selten schriftlich niedergelegt. Sie werden aufgrund von Traditionen, Gewohnheiten und Erwartungen weiter praktiziert. Inoffizielle Normen sind alles, was Menschen tatsächlich tun – im Gegensatz dazu, was sie sagen.
Auf dem Weg durchs Haus, mit den Normen im Kopf und dem Fokus auf dem Verhalten der Praxismitarbeitenden, zeigt sich schnell, wie es um die Negativität in der Praxis bestellt ist. Denn Normen haben Auswirkungen (s. Tabelle unten).
Wenn Praxisleitungen sowohl die Stimmung in der Arztpraxis als auch bei Mitarbeitenden wie Lena M. im Blick haben, können sie frühzeitig gegensteuern, damit Negativität nicht das gesamte Betriebsklima und damit am Ende auch die Arbeitsmotivation aller Mitarbeitenden gefährdet.
Norm | Positiv | Negativ |
Stolz auf die Praxis und sich selbst (wir/die) | Unsere Praxis | Ich bin nur zum Arbeiten hier. |
Leistung und Qualität | Qualität als Nr. 1 | Das ist gerade gut genug. |
Teamarbeit und Kommunikation (gemeinsam/gegeneinander) | Zusammenarbeit | Einzelkämpfertum |
Mitarbeiterführung (verständnisvoll/rücksichtslos) | Unterstützung | „Polizeistaat“ |
Wirtschaftlichkeit und Effektivität (Identifikation/Gleichgültigkeit) | Wir sitzen alle in einem Boot. | Warum soll ich mich für mein Haus verausgaben? |
Beziehung zu Kollegen | Wir behandeln einander mit Respekt. | Jeder kümmert sich um seinen eigenen Kram. |
Beziehung zu Patienten (König/ein „notwendiges Übel“) | Patientenzufriedenheit | Den Patienten möglichst schnell „abfertigen“. |
Ehrlichkeit und Sicherheit (Integrität/Gleichgültigkeit) | Prinzipien vorleben | Heuchelei |
Aus- und Weiterbildung | Es liegt der Praxis wirklich daran, ihre Mitarbeiter zu schulen. | Weiterbildung nur als Lippenbekenntnis |
Innovation und Wandel (Innovation befürworten/ misstrauen) | „Wir sind für alles Neue offen, solange es eine Verbesserung darstellt.“ | „Wir machen das schon immer so.“ |